Nur wenige Bands haben eine ähnlich glanzvolle Karriere hingelegt wie Within Temptation. Seit ihrer Gründung im Jahr 1996 haben sich die niederländischen Symphonic-Metaller um Sängerin Sharon den Adel und Gitarrist Robert Westerholt selbstbewusst in die Annalen der Rock- und Metal-Geschichte eingeschrieben. In all den Jahren hat sich die Band stetig weiterentwickelt, auf die Zeichen der Zeit gehört, neues ausprobiert und sich nicht in Genre-Schubladen stecken lassen. Mit dieser Konsequenz und dem Mut sich immer neu zu erfinden hat es die Band in den letzten Jahren geschafft sich einen Headliner-Status zu erspielen und ist von den großen Festivals der Szene nicht mehr wegzudenken. Nach dem eher durchwachsen angenommen Langspieler “Resist“ von 2019 veröffentlichen sie nun mit “Bleed Out“ am 20.10.2023 via Forge Music Regordings/Bertus Distribution ihr achtes Studioalbum, welches es aber zu großen Teilen schon zu hören gab.
Sieben der insgesamt 11 Songs auf “Bleed Out“ wurden bereits veröffentlicht. An sich nichts Ungewöhnliches, mittlerweile gibt es vor fast jedem Album-Release eine ausgestreckte Single-Kampagne, die sich über teilweise mehrere Monate erstreckt. Bei Within Temptation lief es bei diesem Album allerdings etwas anders. Das Schreiben für “Bleed Out“ begann bereits vor der Pandemie und neue Songs waren eigentlich für die damals anstehende Worlds Collide Tour zusammen mit Evanescence gedacht. Diese Songs, der Umstand, dass sich ihre Musik vermehrt politisch ausrichtet und die Entscheidung zukünftig ohne Plattenfirma zu arbeiten, sorgten dafür, dass Songs dann veröffentlicht wurden, wenn sie entstanden sind und zum aktuellen Zeit- geschehen passen. So handelt „Wireless“ vom erschreckenden Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine und das damit verbundene weltweite Entsetzen, die Wut und das Unverständnis. Musikalisch wird der Track getragen von überaus druckvollen Gitarrenriffs und dominanten Drums. Der Gesang von Sharon den Adel ist glasklar und perfekt, wie es auch nicht anders zu erwarten war. In Wireless hört man aber förmlich allen Druck und die Verzweiflung, die sie in ihre Stimme packt, um ihren Emotionen ein Ventil zu geben. Bereits der Opener, der auf den Titel „We Go To War“ hört, macht deutlich, dass es sich mit “Bleed Out“ um kein belangloses 0815 Album handeln wird. Die besprochenen Themen sind wichtig und komplex und werden in musikalischer Meisterklasse herausgearbeitet und präsentiert. Der Titeltrack „Bleed Out“ handelt von den starken Frauen, die im Iran, die mutig auf die Straße gehen und für ihre Rechte kämpfen. Sharon den Adel verbindet viel mit diesem Song, so sagt sie: „Ich habe als Kind im Jemen gelebt, meine Eltern lebten in mehreren Ländern des Nahen Ostens und ich habe sie oft besucht, wenn sie dort waren. Es ist eine andere Welt. Durch meine Zeit dort fühle ich mich mit diesem Teil der Welt verbunden. Ich war so unglaublich beeindruckt von der Tapferkeit der jungen Frauen dort, die ihre Kopftücher verbrannten, obwohl sie wussten, dass sie ins Gefängnis geworfen werden oder ihnen Schlimmeres passieren würde – es ist herzzerreißend.“ Doch damit der ernsten Themen nicht genug im klassischen Symphonic-Metal-Gewand kommt in „Don’t Pray For Me“ das komplexe Thema Frauenwahlrecht auf den Tisch. Gerade in den Höhen ist hier die Stimme von Sharon den Adel wieder mehr als beeindruckend und trägt den kompletten Song. Als rockigen Gegenspieler hat man sich auf “Bleed Out“ für den Song „Shed My Skin“ prominente Unterstützung geholt. Die deutschen Alternativ-/Hardcore-Rocker von Annisokay leihen dem Song ihre Stimme und machen den Song so zu einem echten Banger. Aus den insgesamt elf Songs wird man sich am Ende sicher auch an „Ritual“ erinnern – wieder ein ernstes Thema, die Emanzipation der Frau, wird im, wie den Adel sagt, verruchtesten Song der Bandgeschichte präsentiert. Die Inspiration zu diesem Song lag in Tarantinos Film From Dusk Till Dawn, was in jeder Zeile des Songs zu spüren ist. Den „versöhnlichen“ Abschluss des Langspielers macht der bereits im Mai 2020 veröffentlichte Song „Entertain You“. Der Song handelt zwar auch von ernsten Themen, wie der Unterdrückung von Minderheiten und der Persönlichen Unterhaltung auf Kosten anderer, kommt aber im eher mainstreamigen Rockgewand daher und verbreitet dank der weniger komplexen oder drück- enden Instrumentierung zumindest etwas gute Laune.
Fazit: Die auf “Bleed Out“ besprochenen Themen sind ernst, bedrückend und zeigen auf er- schreckende Art und Weise auf, in was für einer verkorksten Welt wir eigentlich leben. Man kann sich gar nicht entscheiden, welches Thema aktuell das schlimmste ist – wir haben also in diesem Album ein bunt gemischtes Potpourri an globalen, persönlichen und zwischenmenschlichen Katastrophen. Auch wenn das Album all diese Themen behandelt und auch instrumental eher düster daherkommt, zieht es den Hörer nicht in einen Strudel aus Hass oder Traurigkeit. Das komplexe Wechselspiel mit der genannten eher düster gehaltenen Instrumentierung und dem hohen, kraftvollen Gesang schaffen es zumindest sowas wie ein Licht am Ende des Tunnels zu zeigen. “Bleed Out“ ist aber dennoch kein Album, dass gute Laune verbreitet – es fehlt leider auch der richtige Hit, der es schafft, Ohrwürmer auszulösen und sich im Gehörgang festzukrallen. “Bleed Out“ ist ein Album zum Genießen, um musikalischer Meisterklasse zu lauschen. Und das verdeutlicht, egal, wie viel Murks aktuell auf der Welt passiert, niemand ist damit alleine, niemand muss alleine damit klarkommen.
Tracklist:
01. We Go To War
02. Bleed Out
03. Wireless
04. Worth Dying For Wake Up
05. Ritual
06. Cyanide Love
07. The Purge
08. Don’t Pray For Me
09. Shed My Skin (feat. Annisokay)
10. Unbroken
11. Entertain You
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VÖ: 20.10.2023
Genre: Symphonic Metal
Label: Forge Music Regordings/Bertus Distribution
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