„Hallo, hier spricht Welle: Erdball“ – Mit diesem Zitat beginnt seit 1993 jede Sendung des imaginären Radiosenders um Sänger Hannes „Honey“ Malecki, die der Elektronik-Musiker in den Äther strahlt. Anfänglich noch unter den Namen Honigmond (1990) gegründet, folgte jedoch später der Name Feindsender 64.3, bis schließlich 1993 der Name Welle: Erdball gefunden wurde. Die Hannoveraner Minimal-Elektro-Formation beweist nicht nur seit über 25 Jahren, dass Retroschick optisch manches zu bieten hat, sondern auch nostalgische Gegenstände wie zum Beispiel der Commodore 64 akustisch wahre Wunder erzeugen können. Nach der überaus erfolgreichen Konzertreihe `Mumien Monstren Muta- tionen` im Herbst letzten Jahres und den Abschied von Gründungsmitglied Alf „A.L.F.“ Behnsen , der bis auf Weiteres wie Frl.Venus und Plastique aus Zeitgründen noch als eine Art Ehrenmitglied fungieren wird, meldeten sich Welle: Erdball jetzt am 20. November 2020 mit der neuen Sendung „Engelstrompeten & Teufelsposaunen“ zurück.
Anlässlich der bevorstehenden Veröffentlichung konnten wir „Honey“ für ein Interview ge- winnen und einige Fragen zur neuen Sendung stellen – aber lest selbst:
01. „Engelstrompeten & Teufelsposaunen“ – tatsächlich eine Orchestersendung bei Welle: Erdball. Braucht jeder Radiosender, der etwas auf sich hält, eine Klassiksen- dung?
Welle: Erdball sagt hierzu ein klares „JA!“. Denn neben klarer Informationsgebung, Hörspiel und Unterhaltungsmusik, ist das Thema Klassische Musik fest mit dem Radio verwurzelt. Nicht umsonst war vor weit über 100 Jahren, das erste, was die Menschheit via Radio in den Äther sand, das Largo von Georg Friedrich Händel.
Leider war für Welle: Erdball ein solches Vorhaben, hauptsächlich aus logistischen und finanziellen Gründen immer unerreichbar und wurde schon zu Anfangszeiten recht schnell ad acta gelegt. Erst durch das „Gothic meets Klassik“-Festival und seine Vorbereitungen wurde das Ganze wieder gegenwärtig und durch sehr viel Organisation und „Pfennigum- drehungen“ auch durchführbar.
02. Ihr seid ja vor allem Bastler und holt aus allerlei Gerät Geräusche raus, sei es ein Gameboy oder der gute alte C=64. Wie kommt man von dort zu dem Analogen des Orchesters?
Naja, Welle: Erdball ist vor allem ein Radiosender… oder von mir aus auch eine „Musik-Band“ (Was immer das sein mag?!). Das Vorhaben, als solche, Musik zu machen ist doch gar nicht so abwegig. Und ob das nun mit einem Commodore C64, einem analogen Synthesizer, einer Fahrradpumpe, einer TÜV-Plakette… oder eben im Rahmen eines Orchester gemacht wird, spielt primär keine Rolle. Hier geht es um Musik! Und dort betitelt man die oberste Direktive mit dem Wort: Melodie.
Die neue Sendung „Engelstrompeten & Teufelsposaunen“ ist somit also ein logischer Schritt oder aber auch ein Teil des Konzeptes auf der Basis: „Ausnahmen bestätigen die Regel“. Wir haben es gemacht, weil wir es machen müssen. Es gab keine andere Wahl.
Und es ist schon ein tolles Gefühl, wenn man seine eigenen Kompositionen, die man vor fast 30 Jahren in seinem Kinderzimmer mit den drei Stimmen eines kleinen Heimcomputers realisierte, nun im Gewand eines 40 köpfigen Orchesters und all seinen Möglichkeiten hört.
03. Wie wählt man die Songs für eine solche Sondersendung aus?
Die Auswahl der Lieder, war kein leichtes Unterfangen. Glücklicherweise war mir instinktiv sofort bewußt, daß dieses eine der wichtigsten Vorarbeiten sein wird. Denn wir hatten auch nicht die Möglichkeit hier mal kurz Stücke an zu testen, da die Umsetzung, das Arrangement und die Erstellung der Partituren nicht etwas ist, was man mal kurz am PC zusammen- schustern kann.
Es sollte aber auch weder eine „Best Of“, noch eine reine, herkömmliche klassische Sendung werden. So haben wir auch komplett neue Stücke, die der Hörer jetzt im klassischen Kleid zuerst hören wird, in die Sendung eingebunden. Weiter haben wir einen sehr großen Fokus auf den Gesang gelegt und natürlich hier und da auch den Commodore 64 zu Ton kommen lassen. Und vor allen Dingen haben wir alle Register gezogen, um den Welle: Erdball-Charme auch in die neue Sendung zu projizieren. Es hat funktioniert!
04. Songs wie „VW Käfer“ bekommen eine ganz neue cineastische Wucht und Romantik durch das neue Gewand. Wie fühlt sich das an, teilweise jahrzehntealte Lieder in einem so neuen Kontext zu hören?
Es fühlt sich gut an, denn spätestens jetzt… und das wurde mir selbst auch erst endgültig klar… merkt man, bei aller Objektivität, welches Potenzial Welle: Erdball hat. Denn wenn man sich den Aufkleber „Minimal Musik“ gibt und teilweise mit drei piepsigen C64-Stimmen komplette Lieder komponiert, wird man, bewußt oder unbewußt, von der Technik in den Hintern getreten, die einem sagt: „Hey, Du hast nur noch eine Stimme frei! Willst Du wirklich diese poplige Klangsequenz nutzen, die mir jetzt schon auf den Sack geht?! Oder willst Du Dich jetzt endlich mal auf das Wesentliche der Musik konzentrieren? Auf die MELODIE!“
Und Welle: Erdball hat gute Melodien, die dann zum Glück natürlich auch… oder erst recht… mit einem Orchester funktionieren. Denn ein „cooler“ Sound, sei es auch am Anfang von „Tears for Fears – Mad World“ ist leider vergänglich, aber ein perfekte Melodie, ist sie auch noch so kurz, von Rob Hubbard in dem C64-Spiel „Lazy Jones“, besser bekannt auch als „Zombie Nation“ von „Kernkraft 400“, ist für die Ewigkeit! (Denn genau jetzt hörst Du sie in Deinem Kopf: De,de,de,det… De,de,de,de,de,de,de,det… det – de det!)
05. Eigentlich hättet ihr euer orchestral angereichertes Material dieses Jahr auch auf dem Gothic Meets Klassik präsentiert. Aus Corona-Gründen ist dieses Festival nun verschoben worden. Inwieweit gibt es die Chance, euch zu einem späteren Konzert mit Orchester zu hören?
Ja, die Sache war und ist wirklich ein leidiges Thema, erst wurde es inoffiziell abgesagt, dann wieder nicht, dann doch…u.s.w. …ein einziger Alptraum für Welle: Erdball.
Nun gut, die Vorbereitungen sind weitestgehend abgeschlossen und das Festival wurde verschoben. Man wird sehen was die Zukunft bringt. Welle: Erdball ist definitiv bereit und wir liebäugeln eventuell sogar mit einer Präsentation der neuen Sendung, auch ohne das Festival. Das hängt dann mehr von dem Seuchenumgang und dem Rest des Geldes im Portemonnaie des Hörers ab, welches er sich noch als Budget für Kunst & Kultur bei Seite legen kann.
06. Ihr bewerbt die Sendung mit dem Ausruf „Werden Sie Teil des Eskapismus!“ – Wie kommt man gut durch die aktuellen Krisen, abseits vom Welle:Erdball-Hören?
Wahrscheinlich kommt man ohne Welle: Erdball zu hören gar nicht durch Krisen, welcher Art auch immer. Medien sind in Krisenzeiten ja immer eine wichtige Bastion. Denken Sie einfach daran, wie oft Sie in den letzten 6 Monaten, sich im Internetz irgendwelche fraglichen Studien und Diagramme zur Pandemie angeschaut haben oder welchen Stellenwert die Goebbelsschnauze im zweiten Weltkrieg hatte. Hier gibt es aber auch genügend positive Beispiele, denn erst durch Musik, Kunst und Kultur ist das Leben lebenswert, überhaupt erst als solches zu bezeichnen und wird in Krisenzeiten sie zu einer warmen Hand, welche die Seele streichelt und den Eskapismus überhaupt erst möglich macht, aus dessen Makro- kosmos heraus, man dann wieder diese Krise bewältigen kann.
07. Berufsmusiker haben derzeit nicht sonderlich viel zu lachen und sehen sich praktisch mit einem Arbeitsverbot konfrontiert. Wie stark beeinflusst das eine Gruppe, die so aktiv unterwegs ist/war wie ihr?
Wir haben jetzt genau ein Jahr lang keine Konzerte mehr gegeben. Es ist schon ein großer Schlag ins Kontor. Da die Welt mehr oder weniger aktuell am gleichen Abhang steht, wie vor 8 Monaten auch. Es gibt viel zu wenig Perspektiven… für was auch immer. Man wird dermaßen in Ketten gelegt, daß man sich komischerweise auch an diesen Zustand gewöhnt, ihn sogar als „normal“ hinnimmt. Und ich hab mich immer gefragt, wie die Menschen mit Hitler, Weltkrieg, Atombomben und Konzentrationslagern klargekommen sind. Es nervt… und irgendwann nimmt man es hin und vergißt, daß Nicht-wissen-wollen die BEDINGUNGS- LOSE KAPITULATION ist! Auf was warten wir eigentlich?
08. Die Sendung entnimmt ihren Titel dem Werk „Uhrwerk Orange“. Welche Bewandt- nis hat dieses Buch in Zeiten von einschneidenden Maßnahmen, wie sie uns aktuell auferlegt werden?
A.L.F. hatte das Buch ja damals verschlungen, ich persönlich bin mehr der Hörspiel-Freund und Cineast, so kommt man auch wohl kaum an Kubricks filmischen Meisterwerk vorbei. Aber die Parallelen zur neuen Sendung „Engelstrompeten & Teufelsposauen“ liegen nicht nur in dem Spruch von Alex „…hört Engelstrompeten und Teufelsposauen…“, der übrigens in im englischen Original genau das Gleiche sagt. Denn wir sprechen ja von Musik. Und die Filmmusik zu „Uhrwerk Orange“ stammt von Walter (indessen Wendy) Carlos, die z.b. auch die Musik für TRON schrieb und durch ihre Arbeit mit Herrn Moog, den Moog-Synthesizer und der meistverkauftesten, elektronik Schallplatte aller Zeiten „Switch on Bach“ schon in den späten 60ern Musikgeschichte schrieb, auf welche sich Welle: Erdball seit je her bezieht.
Ich weiß, Ihre Frage zielt in eine ganz andere Richtung, doch ist mir dieses Eis zu dünn, würde hier wohl auch den Rahmen sprengen und die Antwort kann sich nur jeder für sich selbst, ganz individuell, geben. Auf der anderen Seite und ganz unter uns: Was haben die grossen Werke von Anthony Burgess (Clockwork Orange), George Orwell (Animal Farm, 1984), Ray Bradbury (Fahrenheit 451) oder auch Arthur Clarke (2001: Odyssee im Weltraum) der Menschheit mental und nachhaltig gebracht? Ausser das man hin und wieder seinem Gewissen die Hände rein wäscht? Dann vielleicht doch lieber Adolf Hitler, Corona und Atombombe, denn da weiß man was man hat!???
09. Eure nächste Sendung wird unter dem Namen „Film, Funk & Fernsehen“ im kommenden Jahr in den Äther geschickt. Worauf darf man sich hier gefasst machen?
*lach* Warum kommt diese Frage eigentlich immer als die vorletzte Frage eines Interviews oder warum kommt sie überhaupt und IMMER? Dann will ich sie natürlich auch dem- entsprechend kategorisch und umfangreich beantworten:
Da muss sich der Hörer natürlich überraschen lassen!
10. Und wo wir gerade bei Film, Funk & Fernsehen sind: Die Mainstream-Medien befinden sich aktuell stark in der Kritik. Als ein seit weit über 20 Jahren agierender Sender könnt ihr hier sicher Ratschläge geben: Was müssen die Kollegen besser machen?
Eine sehr schöne Frage in der auch schon die Antwort liegt! Denn Sie suchen gerade nach Lösungen… schon in… oder einfach auch mit der Frage!
Die Medien müssen sich eben wieder genau als das sehen und sich dementsprechend verhalten: Als DAS, was sie nämlich sein sollten: Film, Funk und Fernsehen! Das kann doch nicht so schwer sein?!
Klare Informationsgebung hat nichts mit Auflagen- und Einschaltquoten-vergrößernden, angstverbreitenden Facebook-BILD-Slogans zu tun, sondern auch mit Lösungen! Für die man natürlich auch recherchieren muss. Hier geht es dann nicht mehr um Geld, sondern um die Verpflichtung dem Mediennutzer gegenüber. Das ist eine Art Koexistenz, wie auch zwischen Musiker und Hörer. Wer das Medium in seiner Hand hat, muss sich auch seiner Ver- antwortung bewusst sein. Ich stell mich ja auch nicht auf die Bühne und sage: „Hey, ihr da unten, kommt mal alle nach vorne… wir machen jetzt Party!“
Die Welt wird sich nicht so verändern, wie wir es wollen, wenn wir geduckt, lethargisch dem Monster in den Arsch kriechen und auf die Neue Welt™ hoffen. Genau das Gegenteil passiert. Auf was warten wir?
Ich bedanke mich für ein gutes Interview und grüße all Ihre Leser mit dem kompletten Alex-Zitat aus „Uhrwerk Orange“:
„Kommt doch und hört mal meinen Sound! – Hört Engelstrompeten & Teufelsposaunen… Ihr seid eingeladen!“
Dank & Gruß
Honey / Welle: Erdball
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