Solar Fake – Enjoy Dystopia (CD-Kritik)

Solar FakeOrdentlich tanzbare Beats, pure Eingängigkeit und herrliche lyrische Aggression – das sind Solar Fake, eine der begehrtesten Elektro-Formationen deutscher Herkunft rund um den Ostberliner Sven Friedrich, die mit dem wunderbar treffenden Titel „Enjoy Dystopia“ am 12. Februar 2021 das Album der Stunde für all jene vorlegen, die gerade nicht so wirklich wissen, wohin mit ihrer angestauten Wut.

Dem Wut, ja, dem Hass kann man auf diesem Album fabelhaft Luft machen. Wie gewohnt reiht das Trio hier routiniert Hit an Hit, und legt mit dem Brecher „At Least We’ll Forget“ ganz fabelhaft vor. Die liebliche Strophe und die wunderschöne Bridge grooven ordentlich rein, bis der zum Mitschreien einladende Hochenergie-Refrain nur so reinknallt. Das geht in die Beine und macht absolut Laune. Auf „I Despise You“ klingt die Wut fast schon trauernd, viel drängender und weniger kalt. Andere Bands hätten auf ein solches Instrumental vielleicht eine Gemeinsam-gegen-den-Rest-der-Welt-Nummer gemacht, Solar Fake machen jedoch lieber eine Ich-gegen-alle-inklusive-mir-selbst-Nummer, und das ist auch gut so. Die Eingängigkeit bleibt, die Komposition ist vielschichtig und spaßig.

Es folgt die erste Single – „This Pretty Life“ kommt etwas oldschool-synthpoppiger daher, schon die Produktion der Vocals klingt sehr retro-lastig angezerrt – im Refrain hingegen wird wieder eine mehr als hittige, tanzbare Bombe gezündet – „This pretty life – a shattered vow / And nothing is left to blow“. Vom leichten Retro-Sound wechseln wir nun in den Future Pop – mit zügigem Rhythmus, Synth-Gewittern, die hier und da Richtung Techno schielen, kommt auf Anspielstation vier „Arrive Somewhere“ daher. Sven legt eine fabelhafte Performance hin, der knackige Rhythmus und die wunderbare Melodie machen gute Laune, und der Rezensent nickt derart stark mit, dass die Kopfhörer bedrohlich schlackern.

„Es geht dich nichts an“ ist eine neuartige Nummer für Solar Fake. Bewegt sie sich musikalisch teilweise fast schon in Richtung Aggrotech – ordentlich verzerrt und bösartig – ist das Außergewöhnlichste hier: es ist die erste deutsche Nummer der Band. Der Refrain geht ungeheuer gut ins Ohr, mit einer wundervollen Abschätzigkeit wird hier auf ein lyrisches Du eingeredet. „Jetzt komm doch erstmal wieder runter, und setz dich hin und sei entspannt“. Wie so viele andere Songs der Band erzählt dieser Song von Frustration und Streit – für deutsche Fans jedoch mit einer ganz neuartigen Unmittelbarkeit. Natürlich gibt es lyrisch hochwertigere Texte, aber auf eine so wundervoll bissige Melodie wie diese passt die harte deutsche Sprache ganz ausgezeichnet. Für einen ersten Versuch, die deutsche Sprache in die Musik zu integrieren, ist die Nummer sehr gut gelungen – der Refrain jedenfalls wird auf dem nächsten Amphi (wann immer das sein wird) für Jubelstürme sorgen. Man hofft auf weitere Versuche dieser Art.

Zurück ins Angelsächsische – wie schon die erste Single kommt auch die zweite Auskopplung „It’s Who You Are“ einige sehr starke 80er-Remineszenzen. Besonders die instrumentale Bridge mit lieblichen Keyboard-Sounds ist hier zu erwähnen, die Nummer gesamt kommt vergleichsweise minimalistisch daher. „Perspective sometimes implies / A view from a different angle“. Fast schon melancholisch wirkt dieser Song trotz aller lyrischen Schärfe durch die hübsche Instrumentierung mit einigen Piano-Hits und der träumerischen, fast schon „A Broken Frame“-artigen Melodie.

Um einiges aggressiver wird es wieder auf „Trying Too Hard“ – diese Nummer macht echt keine Gefangenen, stampft nur so dahin, und rechnet mit Leuten, die einen gewissen Hang zum Pathos haben, gehörig ab. „You act like a fool for no reason […] You crave a little attention, ‘cause nobody likes you for being the way that you are.“ Herrlich fies, und musikalisch ohne jede Beanstandung: Ganz großes Hellectro-Kino, das mit Attitüde nur so um sich wirft! „Implode“ hingegen kommt mit einer unglaublich fiesen Melodie daher, die sofort ins Ohr geht und wunderbar böse klingt. Es mag vielleicht größere Tanzflächen-Füller auf diesem Album geben – doch ein Musikvideo hierzu würde ich gerne sehen, mit vernicht- enden Blicken von oben herab seitens Sven Friedrich, das wäre doch was.

„Just Leave It“ liefert eine wunderbare Vocal-Melodie in der Strophe, die wunderbar ins Ohr geht, fast schon eine Aufgeberhymne, aber eine Hymne in jedem Fall, die in dem Closer „Wish Myself Away“ mündet. Der düstere Titel ist gerechtfertigt – schon musikalisch klingt das Ding sehr ergreifend und lässt sich zurecht fast sechs Minuten Zeit. Diese wie aus den Untiefen des menschlichen Geistes brechende Selbsthassballade ist ein fantastischer Endpunkt für „Enjoy Dystopia“ – „Of all the right words I could have spoken over the years when I was broken, I always pick the ones that would lead me further away“. Es ist definitiv die emotionalste, depressivste Nummer auf diesem Album, und sie entbehrt nicht einer gewissen Schönheit. Während die Platte sich immerfort mit der Wut gegen die Welt beschäftigt, findet sich hier eine Bestandsaufnahme des eigenen Status Quo – und Zeilen wie „I never felt so left alone“ klingen angesichts der aktuellen Situation nochmal wahrhaftiger.

Fazit: Solar Fake erfüllen mit Studioalbum Nummer sechs alle Erwartungen, die man an eine Platte dieser Ausnahmeband haben könnte. Eingängig, hitverdächtig, fabelhaft komponiert, und bissig. „Enjoy Dystopia“, beziehungsweise das Kernalbum abseits des wie üblich üppigen Bonusmaterials, profitiert durch die vergleichsweise kurze Tracklist der Standard-CD (mit zehn Tracks ist es das wohl abgespeckteste Album der Band): es ist ungeheuer konsistent. 10 Songs, all killer, no filler, musikalische Treffsicherheit, in Melodie gegossener Unmut, der in die Beine geht und den Kopf erleichtert. Hier wird auf hohem Niveau abge- liefert. Meine persönlichen Favoriten auf der Platte: „At Least We’ll Forget“, „Trying Too Hard“ und der Sonderling „Es geht dich nichts an“.

Tracklist:

01 At Least We’ll Forget
02 I Despise You
03 This Pretty Life
04 Arrive Somewhere
05 Es geht dich nichts an
06 It’s Who You Are
07 Trying Too Hard
08 Implode
09 Just Leave It
10 Wish Myself Away

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VÖ: 12.02.2021
Genre: Electro
Label: Out of Line Music

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