Ost+Front – Dein Helfer in der Not (CD-Kritik)

Ost+FrontDie Berliner NDH-Band Ost+Front ist seit jeher ein zweischneidiges Schwert. Während diese Truppe musikalisch durchaus eine Vielzahl an Abrissen vorzuweisen hat, wird es lyrisch häufig etwas beschwerlich. Das Themenspektrum der Ost+Front wird mit einem Titel ihres neuen Albums „Dein Helfer in der Not“ sehr treffend umschrieben: Sex, Schnaps und Gewalt. Hierbei gelingt es ihnen manchmal, brutale Themen in passende, faszinierende Worte zu hüllen („911“ ist in meinen Augen nach wie vor eine der besten Nummern der Gruppe), gelegentlich schaffen sie es sogar, richtig gute Texte zu schreiben. Manchmal wird es dann aber trotz all der guten Laune, die die wirklich großartig gemachte Musik verbreitet, lyrisch derartig plump, dass ein gewisses Unwohlsein beim Hörer nicht ausbleibt.

Herrmann Ostfront, in meinen Augen ein ausgesprochen talentierter Sänger, unter- miniert dann den teilweise wirklich geilen und unverkennbaren Sound seiner Band – der sich durch die Kombination aus knallharten Riffs und hymnischen Refrains mit weiblichen Background-Chören, fett, energetisch und schön – mit Verrohung und Perversion, beträllert auf doch teils sehr stumpfe Art Themen wie Gruppensex („Gangbang“, „Fiesta de Sexo“, „Disco Bukkake“) oder andersgeartete horizontale Fantasien („Fick dich“, „Blattzeit“, „Liebeslied“). Nummern wie diese schmälern leider den Gesamteindruck einer Band, die doch dazu in der Lage ist, Geschichten zu erzählen („Sternenkinder“, „Sonne, Mond und Sterne“, „Siebenbaum“, „Hans guck in die Luft“) und auch politische oder gesell- schaftliche Themen interessant aufzuarbeiten („Mensch“, „U.S.A“, „Freundschaft“).

Nun steht das neue Ost+Front-Album also vor der Tür und möchte uns in unserer Not helfen, uns ablenken in Zeiten der anhaltenden Krise. Das Cover, das von seinem Aufbau und Farbschema an das Album „Liebe ist für alle da“ der anderen großen Berliner NDH-Band erinnert, zeigt die Band mit ernsten Mienen an einem Kneipentisch. Dieses Gefühl der Stammtischgespräche zieht sich auch durch die gesamte Platte.

Mit „Geld Geld Geld“ wird ein druckvoller Einstieg geliefert, der an die erste Single des Vorgängeralbums, „Arm und Reich“, erinnert. Typisch fetter Ost+Front-Sound, textliche Breitseite und die mich immer wieder freuenden hymnischen Elemente mit der einen oder anderen sehr amüsanten Zeile und manchen etwas flacheren Zeilen („Im Strumpfband stecken Scheine, du hast so schöne Beine“). Für lange Intros haben Ost+Front wie schon auf ihrem vorherigen Album „Adrenalin“ keine Zeit, Hals über Kopf geht es mit ordentlich Dampf los. Für den Anfang eine ausgesprochen geile Nummer.

„Schau ins Land“ heißt der zweite Song, der noch mehr Wert auf die große melodiösen Fähigkeiten und den epischen Sound legt, der dieser Band im Wust der NDH ein Allein- stellungsmerkmal zu verschaffen weiß. So genial wie dieser Song klingt, so uneindeutig ist der Text. Er schwankt zwischen einem generellen Unwohlsein, ohne genaue Details zu nennen, wo der Schuh drückt („Ich darf nichts sagen, nur leise fragen: Was ist passiert, wo führt das alles hin?“), und ebenfalls etwas richtungslos wirkenden Durchhalteparolen („Die Zukunft wird groß, wie der Sturm uns verheißt“). Statt wirklicher Inhalte wird hier ein Sentiment beschrieben, welches aber nicht wirklich ergründet wird. Was ist denn passiert? Worum geht es denn? Das ist dieses Stammtisch-Gefühl: Man darf das ja nicht mehr sagen, aber (und hier der typische Satz der „Corona-Skeptiker“): Wer profitiert davon? Wie bei Corona-Skeptikern fehlt es mir hier an klaren Aussagen jenseits einer negativen Stimmung.

Auf dem Song „Honka Honka“ erzählt Herrmann Ostfront Heinz Strunks „Der goldene Handschuh“ nach, was in der ersten Hälfte musikalisch und textlich irgendwie albern wird („Herr Honka war flanieren, da hat’s bei ihm gebrannt, so hat ihm doch die Feuerwehr die Bude eingerannt“). Nach knapp einer Minute wechselt die musikalische Stimmung vom Polka-artigen Tralala-Einstieg zu einem weitaus dramatischeren, dem Fall angemessener erscheinenden Klangbild.

Ein ordentlicher Metal-Einschlag begrüßt uns auf „Sex, Schnaps und Gewalt“, die Lyrics erzählen von Rauheit und Verrohung und wirkt wie ein Porträt einer Gesellschaft, die von Bildern von Gewalt und Pornographie geprägt wird („Der Gegner verliert, ich bin auf Kehle trainiert. Nur das gibt dir im Leben Halt: Sex, Schnaps und Gewalt!“) Die Gitarren scheppern, der Refrain lässt sich mitgrölen, der Song knallt gewaltig, und der Text ist ein Mittelfinger.

Auch „Ikarus“ spart nicht an brachialer Energie, auch wenn gerade über diesem Song die Aura der Band mit dem R zu schweben scheint. Besonders die Bridge („Flieg! Flieg nicht zu nah am Meer!“) klingt doch ein wenig rammsteinig, doch der Refrain ist Ost+Front pur, energetisch, drängend und eingängig. Eine sehr gute Wahl für die erste Single – hier frohlocken die Fans unter Garantie.

Auch „Was einmal war“ ist ein schöner Song, eine düstere Halbballade, die an „Sternenkinder“ erinnert – besonders das Bild des Kindes, das sich an der Nabelschnur erhängt, hinterlässt einen gewissen Eindruck. Zwar holpert hier und da das Versmaß ein wenig („Doch kurz zuvor hatte es sich erhängt“), doch ansonsten schafft es der Sound der Nummer, an das ziemlich interessante „Denkelied“ vom ersten Ost+Front-Album zu erinnern.

Weder musikalisch noch textlich bemerkenswert gerät mit „Mein Eigentum“ eine weitere Nummer über sexuelle Dominanz, an der die Band sich schon seinerzeit auf „Ich liebe es“ abgerackert hat. „Mein Eigentum hat es oft schwer, und darum liebt es mich so sehr“, „Es kann und darf und will nicht glücklich sein“, „Intensives Rohrstock-Training“ – das ist jetzt alles nicht so wirklich faszinierend. Ganz amüsant ist vielleicht maximal das Rammstein-Zitat: „In seinem Himmel gibt es keinen Gott“ – dein weißes Fleisch erregt mich so! Ansonsten ist diese Nummer für Ost+Front leider insofern typisch, als dass der Inhalt nicht wirklich über die Beschreibung eines Kinks hinausgeht und dabei nichts wirklich Interessantes oder Neues zu erzählen hat.

Ganz obskur wird es auf „Schwarzer Helmut“. Hier gehen wir mit Ost+Front auf den Ballermann, saufen uns die Hucke voll und gucken uns leicht bekleidete Damen an. So weit, so bekannt, aber: „Weiß jemand, wem die Uhr gehört?“ – „Schwarzer Helmut, dir gehört die Uhr!“ Aber was genau es jetzt mit dieser Uhr auf sich hat, wer der schwarze Helmut ist, erfahren wir nicht. Stattdessen berichtet Herrmann Ostfront über die „ziemlich moderate[n] Preise“ auf der Biermeile. Na, wenn das so ist. Musikalisch macht die Nummer zwar durchaus Laune, die Lyrics sind aber so bescheuert, dass man wirklich keine Ahnung hat, was dieser Song jetzt eigentlich soll.

Auf „Die Räuber“ erzählen die Ost+Front mit einigen interessanten Ideen eine kleine Geschichte, in der eine Frau sich in das Haus einer Räuberbande verirrt, welche Damen gefangen nimmt, schlachtet und zubereitet. Die Frau jedoch flieht aus dem „Mörderhaus“ und verrät die Täter. Die Geschichte endet also gut, und wird gepaart durch fabelhafte musikalische Ausgestaltung sowie großartige Vocals. Herrmann Ostfront kann nun einmal wirklich gut singen, auch die Einsätze des Chors und die monumentalen Musikwände sowie die geilen Melodien sorgen hier für ein sehr gelungenes Soundbild.

Und dann kommt dieser Song, mit dem man auf einem Ost+Front-Album nun einmal rechnen muss. „Porco Dio“, italienisch für Schweinegott, ist ein ziemlich plumper Ficki-Ficki-, beziehungsweise Wichsi-Wichsi-Song über jemanden, der es während der „Videokas- settenzeit“ nicht lassen kann, sich „immer, immer wieder anzufassen“. Im Refrain tönt es dann noch „Sexy girl, you like it hot?“ – Immerhin der Twist ist ganz interessant, an dem der Pornokonsument (wahrscheinlich in einem postorgastischen Moment geistiger Klarheit) feststellt, dass er wohl doch ewig allein bleiben wird und verzweifeln wird. Besser als nichts.

„Ich brau dir einen Zaubertrank, macht willenlos und seelenkrank“ – „Zaubertrank“ ist eine weitere Nummer, die ungeheuer geil klingt, das Thema lässt sich jedoch nicht festlegen. Zwischen Hexen- und Walpurgisnacht-Ästhetik, der Dualität von Liebe und Abhängigkeit (der eine Partner „besitzt“ den anderen) und Zeilen wie „Ich bin nicht dumm, doch nicht sehr schlau“ hat man trotzdem eine Nummer, zu der man ordentlich abfeiern kann. Die Musikalität dieser Band kann keiner leugnen, was die Jungs für fabelhafte Kompositionen zwischen Brachialität, Romantik, Epik und Hymnenhaftigkeit zu zaubern wissen, ist zweifelsohne beeindruckend.

Mit „Frauenzimmer“ wird es dann aber schon wieder ein bisschen schwierig. Menschen etwas sensiblerer Natur könnten hier eventuell Sexismus unterstellen – wo ein Lindemann-Gedicht für unbändigen Zorn sorgen kann, könnten auch Zeilen wie „Frauenzimmer zu betreten, rabiat und ungebeten“ für ein paar hochgezogene Augenbrauen sorgen. Ich persönlich finde es auf Ost+Front-Album Nummer fünf langsam etwas langweilig, dass es immer mindestens einen Song gibt, auf dem es darum geht, Frauen zu benutzen und ein wenig zu degradieren. „Schönes Kind, du wirst mir taugen“ – Ja, Sex ist ja gut und schön, aber immer nur Gruppensex und unterwürfige, bzw. unterworfene und auszunutzende Damen ist ja auf die Dauer auch eintönig, besonders, wenn die Wortwahl nicht von großer Metaphorik oder Doppeldeutigkeit zeugt. Es ist ja nicht so, dass es andere interessante Fetische gibt. Von ekligen Zeilen wie „Ganz egal, ob arm, ob reich – innen sind sie alle weich“ habe ich seitens dieser Band schon genug gehört. Weder amüsiert noch schockt es mich, mir entlockt es nach fünf Alben nicht mehr viel außer einem müden Schulterzucken und einem leichten Augenrollen.

Dabei können es Ost+Front doch wirklich, wirklich gut! „Untermensch“, der Closer des Albums, beweist doch, was diese Band für ein Talent hat. Woran liegt es nun, dass gerade dieser Song so überzeugt? Vielleicht, weil er authentisch wirkt. Wo sich sonst immer hinter Verrohung, Gewalt und Perversion versteckt wird, beweist dieser Song Brüche und beweist einen Tiefgang. „Zu schwach, mich selbst zu richten, hör mir beim Atmen zu: Halbtote Lebensgeister finden mitnichten Ruh‘.“ Der Song ist wirklich herzzerreißend und setzt sich mit dem Thema Depressionen fast noch besser auseinander als „Hans guck in die Luft“ vom Vorgängeralbum. Diesen Blick hinter die Fassade würde ich mir zwischen all der Grausamkeit, die mit einem Ost+Front-Album über einen kommt, viel öfter wünschen. Der Grund, warum wir Thriller lesen oder fasziniert von True Crime sind, ist ja auch nicht die Gewalt, sondern unser Interesse daran, was einen Mensch zum Täter machen kann. Mit diesem Song steigen Ost+Front ungeheuer stark aus Longplayer Nummer fünf aus. Es ist diese wunderschöne Nummer, die trotz meines sehr ambivalenten Verhältnisses zu dieser Gruppe auf die letzten Meter versöhnlich stimmt.

Es folgt die zweite CD mit Bonusmaterial – elf Remixe (unter anderem von Chris Pohls neuem musikalischen Baby She Hates Emotions), das Instrumental „Der Anfang“ sowie der ordentlich schnelle, black-metal-grunzende „Roter Bau“. Einzig erwähnenswert wäre hier „Viel Spaß beim Sterben“, ein so ungeheuer gewalttätiger, ekelhafter und fieser Song, in dem mit relativ holprigen Reimen und grellen Bildern beschrieben wird, was Herrmann Ostfront so alles gern mit Kinderschändern anstellen würde. Eine der harmloseren Zeilen ist hier noch: „Greif mir den Hammer und vernichte dein Gesicht.“ Unsäglich brutal, verroht und unangenehm zu hören. Vielleicht ist es ja genau das, was dieser Song bewirken sollte.

Fazit: Ach, die Ost+Front macht es mir nicht leicht. Zwar bin ich felsenfest davon überzeugt, dass sie zu den Guten gehört, dass sie einen fantastischen und einzigartigen Sound haben; musikalisch ist diese Platte fast durchweg erste Sahne, sehr gut produziert und mit infektiösen Melodien gespickt. Auch glaube ich, dass sie ehrlich und aufrichtig dazu in der Lage sind, ebenfalls gute Texte zu schreiben. Leider jedoch spielen Ost+Front auch auf „Dein Helfer in der Not“ gelegentlich unter ihrem Niveau. Dieses Album ist in seiner Brutalität manchmal so plump und unreflektiert, dass ihr Grauen verschwimmt und es nur noch nach Schlagworten klingt, die bedient werden. Etwas mehr Balance, etwas mehr Schattierung wünscht man sich. Mit Songs wie „Untermensch“ zeigen Ost+Front, dass sie genau das können. Auch „Ikarus“, „Die Räuber“ oder „Sex, Schnaps und Gewalt“ – letzteres für seine Kritik, die gleichzeitig fast wie eine Selbstdiagnose klingt – zeugen von dem ungeheuren Talent dieser Truppe. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass diese Band dazu in der Lage ist, ein wegweisendes Album zu machen, das ohne Ausfälle und enorme Plumpheit auskommen kann. „Dein Helfer in der Not“ zeigt hier und da genau diese Ansätze. Doch in der jetzigen Form ist es ein Album, das wohl ausschließlich die eingefleischten Ost+Front-Fans in helle Freude versetzen wird. Ich glaube jedoch fest daran, dass es den Jungs gelingt, etwas zu erschaffen, das auch die Skeptiker überzeugt. Zuzutrauen ist es ihnen in jedem Fall.

Tracklist:

CD 1:

01 Geld Geld Geld
02 Schau ins Land
03 Honka Honka
04 Sex, Schnaps und Gewalt
05 Ikarus
06 Was einmal war
07 Mein Eigentum
08 Schwarzer Helmut
09 Die Räuber
10 Porco Dio
11 Zaubertrank
12 Frauenzimmer
13 Untermensch

CD 2:

01 Viel Spaß beim Sterben
02 Roter Bau
03 Der Anfang
04 Mein Eigentum (remixed by She Hates Emotions)
05 Sex, Schnaps und Gewalt (Dickpik Remix by Yellow Lazarus)
06 Ikarus (Facing the Gallows Cover Version)
07 Mein Eigentum (Eggvn Remix)
08 Schwarzer Helmut (Solar Fake Remix)
09 Geld Geld Geld (Geld Hell Geld Remix by Amduscia)
10 Mein Eigentum (GROOVENOM Remix)
11 Geld Geld Geld (Code: Pandorum Remix)
12 Bluthund (Any Second Remix)
13 Ikarus – Larva + JesucristoK Remix
14 Geld Geld Geld (Any Second Remix)

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Release: 31.07.2020
Genre: NDH
Label: Out Of Line

OST+FRONT im Web:

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