Bittersüße Pop Hymnen zum Feiern: Was einst als Solo-Projekt des charismatischen Sängers und Frontmanns Andreas Stitz begann, vollendete sich Anfang 2018 mit dem Einstieg des Scooter-Gründers und Masterminds Rick J. Jordan als neuer Produzent und Live-Bassist. Thomas Fest, bereits seit 2011 als Keyboarder und Mi- tkomponist an Bord, vervollständigt die 3er-Symbiose aus moderner Indie Pop-Produktion, Texte mit enormer Tiefe und eindrucksvoller Live-Performance. Die beiden Alben „Gestrandet“ (2009) und „Du, ich und die andern“ (2015) wurden bereits mit vielen herausragenden Rezensionen gewürdigt. So kann man nach den vier verheißungsvollen Vorabsingles „Jasmin“, „Wenn es Nacht wird in Paris“, „Jerusalem“ und „Raumpatroullie“ den am 26.10.2018 erscheinenden Longplayer „Heile Welt“ mit Spannung erwarten. (Quelle: Pressetext)
Leichtmatrose – Das sind recht lupenreine und teilweise auch sehr vielfältige Elektropop-Songs mit teils sperrigen, seltsamen, morbiden oder frivolen Texten. Seemannsmusik für den modernen Synthesizerbesitzer. Wen wundert es, dass dieses Musikprojekt anno 2007 ausgerechnet durch Joachim Witt entdeckt wurde? Am Steuer – und damit sowohl am Mikro als auch an den Reglern – steht Andreas Stitz, dessen Stimme der von Peter Heppner in ihrer Farbe und Weiche so nahekommt, dass Letzterer ihn glatt mit auf seine aktuelle Tour nimmt. Nun liegt mit „Heile Welt“ das dritte offizielle Studioalbum. Los geht es mit dem vielschichtigen, wavigen „Jerusalem“, indem Kapitän Stitz mit seiner Stimme gleich mal stimmliche Höhen erkundet, sich aber auch in Zeilen stürzt wie „Ich werd‘ dich immer lieben, mein Feind“, die die Frage aufwerfen, ob das nun absolute Plätte und Scheinsubstanz oder in sich schon irgendwie genial ist. Mit „So schmeckt es frei zu sein“ kommt ein mit Hauch-Vocals und Spieluhr-Sounds garnierter Gothic-Shanty, der sehr atmosphärisch beginnt, bis es im Refrain dann typisch ruppig wird. „Doch was zählt ist Charakter – also fick dich ins Knie“ spielt so mit der Fallhöhe der Sprache, dass der Hörer erst einmal interessiert eine Augenbraue hebt. Das finde ich am Leichtmatrosen irgendwie interessant – ihm wohnt diese Witt’sche Düsterheit inne, das Verbinden von sehr guten und fabelhaft funktionierenden Melodien mit teils verwegenen, teils verstörenden, teils schlicht verwirrenden Texten.
So geht es weiter auf dem Titeltrack „Heile Welt“, der klingt wie ein Song von einer dieser bewusst uncoolen und nicht sehr zelebrierbaren Bands der 90er à la Wheatus. Dazu gibt es einige völlig wirre lyrische Momente über einen Verlierer-Teenager, der nie ins Sport- team gewählt wird, präpubertäre Masturbation und das famose Zartgemüse aus der Dose. Das ist fast schon Anti-Musik und damit irgendwie sehr faszinierend, ein Sonderling, wie es in den 80ern der Goldene Reiter gewesen ist. Mit „Bodensee“ kommt ein leicht anrüchiger, aber auch schmieriger Song, der genauso gut auch von Falco hätte kommen können. Herr- lich!
„Chill Indianer“ hat mit den anderen Anspielstationen gemein, dass es bekannte Themen mit irgendwie verschrobenen Auswüchsen auf 80er-Melodien streut. Hierbei geht es um Super- und Rockstars, Kommerzialisierung und verdrogte Backstage-Räume, in denen es mehr Marihuana-Rauch als Luft gibt. Zwischendrin enthält das Ganze fast einen NDH-mäßigen Twist, der sich gut in die Welle-Sounds einwebt. Dieser Song ist nicht nur wie gewöhnlich skurril, sondern auch wirklich sehr gut. Auch „Wenn es Nacht wird in Paris“ hat irgendwie Charme, denn der Song ist ganz genau das, was der Titel vorschreibt: Eine Udo-Jürgens-mäßige Ballade mit Piano, Keyboard-Streichern und Akkordeon, und diesem ganz typischen schwellenden Sound im Refrain. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass der Leichtmatrose auch gelegentlich wirklich interessante Texte schreibt und – vor allem – wirklich gut singt. Ein sehr interessanter Song, der das Pariser Nachtleben der Dichter und Dirnen auf spannende Art und Weise verdichtet.
Auch „Für immer stumm“ ist eine Ballade, die zuerst sehr akustisch daherkommt und sich mit zu verfließen drohender Liebe auseinandersetzt. Das Instrumental wird immer orches- traler und kitschiger, und als kitschiger Song macht diese Nummer ihre Arbeit wirklich ausgesprochen gut. „Wir warten, dass gar nichts mehr passiert“ ist darüber hinaus eine Zeile, die mir seit mehreren Stunden immer wieder ins Gedächtnis springt. Zwischenzeitlich konzentriere ich mich aber völlig auf den Song „Jasmin“, der von vorne bis hinten die DNA des späten Falco atmet. Irgendwo zwischen dem Drive von „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ und der Melancholie von „Out Of The Dark“. Die Stimme des Masterminds wird auch noch als Sample eingespielt – mein lieber Herr Gesangsverein! Coole Nummer, wie ein Diamant aus den 80ern, der jetzt erst freigelegt wurde. Auch hier darf aber eine gewisse Eigenheit und Verwirrung nicht fehlen, wenn der Hörer zum Beispiel bemerkt, dass in das Instrumental nicht nur die Stimme von Falco, sondern auch die Geräusche einer stöhnenden Frau eingewebt sind.
Über „Das Schicksal kann ein mieses Arschloch sein“ kann man nicht viel sagen, 80er-Jahre-Popnummer, mit skurriler Lyrik, die irgendwo auch etwas Morbides und Makabres an sich hat. Mit „Borderline“ kommt eine EDM-Nummer mit treibendem Beat, der die Leute so lange auf die Tanzfläche zieht, bis beim Text das „What The Fuck“-Gefühl einsetzt. Genauso wahnsinnig wie ein Borderliner ist hier die Zusammensetzung dieser Worte, die der Leichtmatrose singt, als wäre es ein Nena-Liedchen.
Mit dem Song „Raumpatrouille“ verabschiedet sich Stitz, instrumental wunderschön und auch textlich irgendwie träumerisch, obwohl es mir immer wieder aufstößt, dass er doch tatsächlich vom „Universium“ singt. Aber das ist eben der Leichtmatrose. So ganz ohne Twist geht es nicht.
Fazit: Dieses Album ist ein weiterer Beweis für die Kauzigkeit, aber auch die exzentrische Ader des Leichtmatrosen. Ein wenig verschroben, ein wenig bekloppt, aber im Großen und Ganzen wirklich gute Musik. Die Texte an sich sind gewöhnungsbedürftig, obwohl es vielleicht gerade den Reiz dieses Musikers ausmacht, dass man sich nicht daran gewöhnt, sondern sich immer ein wenig vor den Kopf stoßen lässt. Ein Elektro-Oddball bleibt Stitz auch auf seinem dritten Album, und macht seinen Job auch nach wie vor sehr gut.
Tracklist:
01 Jerusalem
02 So schmeckt es frei zu sein
03 Heile Welt
04 Bodensee
05 Chill Indianer
06 Wenn es Nacht wird in Paris
07 Für immer stumm
08 Jasmin
09 Das Schicksal kann ein mieses Arschloch sein
10 Borderline
11 Raumpatrouille
Kaufen: Amazon
VÖ: 26.10.2018
Genre: Deutscher Elektro-Chanson
Label: Believe Digital Gmbh (Soulfood)
Leichtmatrose als Support von Peter Heppner:
15.11.18 Hamburg, Markthalle
16.11.18 Rostock, M.A.U. Club
17.11.18 Berlin, Huxleys Neue Welt
29.11.18 Hannover, Musikzentrum
30.11.18 Leipzig, Haus Leipzig
01.12.18 Glauchau, Alte Spinnerei
08.12.18 Magdeburg, Factory
09.12.18 Nürnberg, Hirsch
11.12.18 Stuttgart, Im Wizemann (Halle)
12.12.18 Zürich, X-TRA (CH)
14.12.18 Oberhausen, Kulttempel
15.12.18 Langen, Neue Stadthalle
16.12.18 Köln, Live Music Hall
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