JOACHIM WITT stattete der Hauptstadt einen Besuch ab! (Konzertbericht)

Am vergangenen Freitag, genauer gesagt am 4. Mai 2018, stattete Joachim Witt im Rahmen seiner aktuellen Tour auch der Hauptstadt einen Besuch ab. Nebel erfüllt das Columbia Theater, ein paar nackte Bäumchen strecken ihre dürren Äste aus. Kurz vor der Ankunft der früheren NDW-Legende und des heutigen Gothic-Titans Joachim Witt sieht die Bühne aus wie eine Kulisse aus Game Of Thrones. Die Vorgruppe, Scarlet Dorn, hatten vorher bereits einen beeindruckenden Support abgegeben, trotz einiger technischer Probleme und Mikrofonausfällen zeigte sich die Sängerin Scarlet Dorn souverän und überzeugte unter anderem mit einem Cover von Aerosmith’s „Dream On“.

Jetzt jedoch wartet alles auf den Großmeister, dessen aktuelles Album „Rübezahl“ bei Fans und Kritikern großen Anklang fand. Mit dem Song „Herr der Berge“ betreten Witt und Band die Bühne, der Held des Abends ist dabei in einen schweren schwarzen Kapuzen- umhang gekleidet und mit einem Gandalf-artigen Gehstock ausgestattet. Mit dem weißen Rauschebart, der den Sänger mittlerweile ziert, ergibt sich das perfekte Bild eines Waldschrats, der die Ankunft Rübezahls verkündet. Was für ein Einstieg! Mit dem, was dann passierte, rechnete ich aber nicht. Joachim Witt ist nämlich ein Meister der „Kunst der Überleitung“. Selbstironisch und stark überspielt führt er von einem Song zum anderen, wechselt teilweise zwischen übertriebener Schüchternheit zu lauten Schreien und wirkt wie ein herrlich beklopptes Genie. Ich habe noch nie bei einem Konzert so sehr gelacht. Was ebenfalls (leider) sehr unüblich ist: Trotz seines großen Hitkatalogs spielt Witt erst einmal komplett sein Album, vom ersten bis zum letzten Song, durch. Das funktioniert wunderbar, schließlich ist das Album in seiner Gesamtheit wunderbar konzipiert und es wäre schwer, nur ein paar Nummern aus dieser sehr starken Platte für die dazugehörige Tour heraus- zupicken. Zwischen den bereits erwähnten großartigen „Rübezahl“-Songs erzählt Witt kleine Geschichten zu den Songs, bei denen er teilweise völlig vom Thema abkommt und unter anderem einwirft, er sei der neue Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein und vertrete, wenn es sein müsse, jede Kuh – einzeln. Darüber hinaus geht der 69 Jahre alte Sänger auch mit einigem Witz – an einigen Stellen geht es fast in Richtung „schwarzer Humor“ – auf sein Alter ein und sagt, selbst mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht, sein Duett mit U96 sei entstanden, da diese sich seine Stimme noch einmal „leihen“ wollte, bevor er im Grabe liege. Dann betonte er, einige Journalisten würden sich womöglich wünschen, dass er mal langsam von der Bildfläche verschwände.

Foto: Franz Scheppers

Kann ich nicht bestätigen, ich für meinen Teil habe sein letztes Album ja sehr wohl- wollend rezensiert. 😉 Sein eigenes Werk hingegen scheint er recht streng zu beurteilen, nachdem aus dem Publikum sein außerordentlich irri- tierender NDW-Song „Tri Tra Trullala (Der Herbergsvater)“ anstimmt, setzt er in grotesk überzogener, kindlicher Stimme zu folgendem Satz an: „Ich wollte mich noch entschuldigen, dass ich damals so ein Scheißlied gemacht habe, das so auf die Nerven geht, aber ehrlich gesagt wollte ich das damals ganz genau so.“ Das Publikum krümmte sich vor Lachen. In seinen teils minutenlangen Monologen wirkt Joachim Witt fast wie eine Loriot-Figur und bringt den Saal zum Schreien vor Lachen. Auch seine Tanzmoves, vor allem während Songs wie „Eis und Schnee“, lassen ihn wie einen Gothic-Badass-Opa Hoppenstedt wirken. An keiner Stelle macht er sich damit lächerlich, er wirkt schlichtweg sympathisch, selbstironisch und fast schon jungenhaft. Mit „Wieder- sehen woanders“, dem letzten Song des Albums „Rübezahl“, das Anfang des Jahres erschien, geht die Band von der Bühne, nur um nach enthusiastischen Rufen des Publi- kums – zu großen Teilen eindeutig jahre- oder jahrzehntelange Fans – mit den Zugaben auf die Bühne zu kommen. Die beiden „Bayreuth Eins“-Klassiker „Liebe und Zorn“ und „Das geht tief“ bringen den Saal zum Tanzen, schön hart schrammeln die Gitarren auf seinen zum Teil durch Rammstein inspirierten Songs daher. In seinen Überleitungen schlägt Joachim Witt nun ernstere Töne an, spricht nicht als überdrehte Kunstfigur des bekloppten Opas, sondern spricht ehrlich und dankbar zu seinem lauschenden Publikum und kündigt unter anderem seine „Klassik Art“-Tour 2019 an, die ihn unter anderem am 26. Januar wieder nach Berlin führt, in den Heimathafen Neukölln.

Es folgen die beiden Megahits „Die Flut“ und „Goldener Reiter“. Nach ersterem gibt es eine weitere riesige Ankündigung: Joachim Witt verkündet, zum zwanzigjährigen Jubiläum von „Die Flut“ ein neues Duett mit dem damaligen Songpartner Peter Heppner aufzu- nehmen. Ein neuer Song mit Witt und Peter Heppner? Das kann nur geil werden. Bei „Goldener Reiter“ hat es Witt, der zwischenzeitlich bereits von einem Stuhl aus sang, sehr einfach: Das Publikum übernimmt einen großen Teil der Singarbeit. Die zweite Zugabe und das Ende des großartigen Konzerts mit einer Länge von fast zweieinhalb Stunden bildet der Song „Strenges Mädchen“, der mit seiner hohen BPM und den zusätzlich eingefügten Rock-Elementen dem Columbia Theater noch einmal richtig einheizt. Zu den letzten Worten des Rock- und NDW-Titans auf der Bühne zählen die Zeilen „Ihr Geist ist schnell, ich komm nicht mit / Sie ruft mich streng Joachim Witt.“ Was für ein gelungener Abschied eines wunderbaren Abends. Ich kann es jetzt schon kaum erwarten, diesen Mann im Oktober in Leipzig zu sehen – dann unter anderem mit orchestraler Begleitung.

Joachim Witt „Rübezahl“ Tour 2018
+ Support: Scarlet Dorn

09.05.2018 Hannover, Musikzentrum
10.05.2018 Rostock, MAU Club
11.05.2018 Dresden, Beatpol
12.05.2018 München, Backstage Halle

Joachim Witt im Web:

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