Joachim Witt – Rübezahl (CD-Kritik)

Das neue Album von Joachim Witt trägt den Namen „Rübezahl“ und ist seit dem 23. März 2018 überall im Handel erhältlich. Wie bereits seine beiden Vorgängeralben „Ich“ und „Thron“ ist auch die siebzehnte Platte des Musikgiganten komplett durch Fans via Crowdfunding finanziert und unabhängig veröffentlicht worden. Mit siebzig Jahren auf dem Buckel und siebzehn Alben auf dem Markt könnte man erwarten, dass Joachim Witt, der schon zu NDW-Zeiten große Erfolge verbuchte und seitdem immer präsent und erfolgreich war, vielleicht langsam die Ideen ausgehen. Aber dies zu vermuten, ist ein riesiger Fehler. Der neue Epos „Rübezahl“ steht unter Dampf und ist majestätisch und mächtig von seiner Klangstruktur.

Schon der Opener, „Herr der Berge“, lässt durchblicken, wer hier an den Reglern saß: Dem Großmeister der Szene, der wie ein Adler seit Jahrzehnten über der dunklen Musik wacht, assistierte auf diesem Album niemand anderes als Chris Harms, der kürzlich für den Deutschen Musikautorenpreis nominiert war. Der Lord Of The Lost-Musiker macht sein Dasein durch Bombast und orchestrale Elemente deutlich, die sich wunderbar mit Witts unheilverkündender Stimme auf dem ersten Song vereinen. Das nächste Lied, „Ich will leben“, hat den Charakter einer düsteren Hymne. Joachim Witt zeigt hier eine stimmliche Kraft und Vielfalt, wie man sie nicht einmal von einigen viel jüngeren Künstlern hört. Witt altert wie ein guter Wein, das macht dieser rumsende und stampfend-melodiöse Song, der fast schon nach Symphonic Metal klingt, sehr deutlich. Chris Harms trägt ebenfalls wieder einen großen Teil zu der atemberaubenden Atmosphäre des Liedes bei, durch tolle Melodien, fetten Klang und einer genialen Harmonie von Rock und Orchester. „Dämon“ erinnert musikalisch an die „Bayreuth“-Zeiten von Witt. Dass diese Trilogie zum Kern von seiner Diskographie gehört, steht außer Frage. Entsprechend gut ist auch der Song, bei der fast schon opernhaften Vortragsweise der Bridge „Hätt‘ ich nur einmal mit Verstand auf dieses mein Leben gesehen, ich fühlte mich jetzt nicht so verloren!“ erzeugt Gänsehaut. Ein ganz feines Stück Musik, genau wie der nächste Song „Goldrausch“, der fast klingt, als sei er dem Soundtrack zu einem Fantasy-Blockbuster entsprungen. Auch hier überzeugt der Protagonist Joachim Witt wieder durch enorme Stimmkraft und großartigen Gesang. Mit „Mein Diamant“ präsentiert Joachim Witt eine wunderbare, bedrückend-dunkelschöne Ballade, von denen Der Graf von Unheilig selbst in seinen besten Zeiten nur hätte träumen können. Was mir hier auffällt, als Lyriker freue ich mich über so etwas immer, ist das Schema des Refrains. „Wofür du stehst“ ist eine weitere Ballade, die jedoch hier und da auch härtere Töne anschlägt. Etwas härter wird es wieder mit „Quo Vadis“, an dem auch U96 mitwirkte. Hier hört man auch ein wenig Sozialkritik aus dem Text heraus („Noch dreht sich die Welt, doch es scheint mir, sie dreht sich zurück.“) – Die Strophe baut sich bis zum Refrain immer weiter auf, bis Joachim Witt dann mit gepresster Stimme ruft: „Wo geht es hin?“ – Der Song erinnert mich hier und da ein wenig an das geniale „Das geht tief“. Auch diese Nummer hält die Spannung und Atmosphäre des Ausfalls, bisher hat es keinen einzigen Ausfall oder Bruch gegeben. Auch der nächste Song ändert das nicht. „1000 Seelen“ mit Chris Harms ist wieder monumental, schwermütig und stimmungsvoll. Man hört diesem Album einfach gerne zu, die schweren Rhythmen drücken in den Magen. Was darauf folgt, ist jedoch eine mehr zum Mitnicken („Alle nicken“!) einladende Nummer namens „Eis & Schnee“, der fast schon einige NDW-Allüren offenbart. Der leichtherzigere Song ist ein schönes Lied, aber kein Highlight des Albums, trotz des Rundumschlags durch die Gott sei Dank sehr lange Karriere dieses Ausnahmekünstlers. In der zweiten Strophe klingt Witt wieder wie in den Achtzigern, während er seine Texte dem Hörer fast schon verkündet. Bei „Agonie“ handelt es sich um einen Uptempo-Song, der gerade im Refrain viel mit Synthesizern spielt. In den Strophen grölt Witt über Einsamkeit und das Vermissen. Wäre der Text nicht so düster, wäre das hier eigentlich schon ein Clubkandidat. Es wird uns hier sogar ein kurzes Gitarrensolo spendiert. „Wenn der Winter kommt“ ist wieder eine Ballade, die gegen Ende fast schon explosionsartig anschwillt und mit Chören, Streichern und einem wunderbaren Klavier dafür sorgt, dass man einen so verschneiten März etwas besser verkraften kann. In „Leben und Tod“ haucht Joachim Witt einige nicht so großartige Textstellen („Verzeih, mein Held, das ist die Welt“), doch das tut dem Song nicht so einen großen Abbruch, denn klanglich werden hier wieder alle Geschütze aufgefahren. Der letzte Song „Wiedersehen woanders“ ist ein Song, der trotz einer gewissen Melancholie ein schönes Gefühl zum Abschied hinterlässt. Auch hier beweisen Witt und Harms wieder ihr Gespür für schöne Melodien und ein tolles Zusammenspiel aus Gitarren, Synthies und Orchester. Die Message des Textes trifft ins Herz, und obwohl der Song hinter einigen der bisherigen Songs zurückbleibt, ist er ein schöner Abschied, der hoffentlich nicht allzu lange weilt.

Fazit: Joachim Witt ist immer noch voller Kraft, Kreativität und Feuer. „Rübezahl“ verdeut- licht das genauso wie seine zwei vorherigen Platten, auf denen er sich komplett kreativ ausleben konnte, dank fehlendem Labeldruck durch Crowdfunding. Tiefsinnig, bombastisch, hymnisch, episch, mächtig – das alles sind Verben, die man mit dieser Platte verbinden kann. Was für ein Brett, das Joachim Witt da abgeliefert hat!

Tracklist:

01 Herr der Berge
02 Ich will leben
03 Dämon
04 Goldrausch
05 Mein Diamant
06 Wofür du stehst
07 Quo Vadis (feat. U96)
08 1000 Seelen (feat. Chris Harms)
09 Eis & Schnee
10 Agonie
11 Wenn der Winter kommt
12 Leben und Tod
13 Wiedersehen woanders

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VÖ: 23.03.2018
Genre: Avantgarde
Label: Ventil Records

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