Interview mit Dero Goi von OOMPH!

Credit by Heilemania

Mit einer sich über drei Dekaden streckenden Bandhistorie hat sich so manche Gruppierung schon irgendwann in Selbstwiederholung oder Zahnlosigkeit verloren. Weder das eine noch das andere kann man OOMPH! vorwerfen, denn die drei Herren Dero, Crap und Flux wussten schon immer, ihre Musik frisch, spaßig und abwechslungsreich zu halten. Dennoch ist das neue Album „Ritual“, das am 18. Januar via Napalm Records erscheint, an vielen Punkten eine Rückbesinnung auf die Zeit, in der die Braunschweiger Combo fast beiläufig ein eigenes Subgenre aus dem Ärmel schüttelte – die NDH. Während die musikalischen Reminiszenzen an vergangene Jahrzehnte zwar nicht zu leugnen sind, bleiben OOMPH! inhaltlich wie gewohnt am Puls der Zeit.

Anlässlich der bevorstehenden Veröffentlichung von „Ritual“ konnten wir OOMPH! für ein Interview gewinnen und einige Fragen zum neuen Album stellen – aber lest selbst: (Unsere Fragen wurden von DERO beantwortet)

Erst einmal vielen Dank, dass ihr Euch die Zeit für dieses Interview nehmt! Seit ihr alle gut ins Jahr 2019 gerutscht?

DERO: Ich kann nur für mich sprechen. Ich bin ganz ruhig im Kreise meiner Familie ins neue Jahr gekommen. Es war ein sehr entspannender Kontrast zum oft sehr stressigen Musiker- alltag.

Euer neues Album „Ritual“ behandelt ziemlich aktuelle Probleme – Welches Thema liegt euch am meisten am Herzen?

DERO: Wir müssen rekapitulieren, dass unsere freiheitlich-humanistische Grundordnung und unsere demokratischen Grundrechte momentan von drei Seiten gleichzeitig heftig attackiert werden: Erstens von der extremen Rechten, zweitens von der extremen Linken und drittens von religiösen Extremisten. Das macht die Gemengelage nicht gerade einfach, zumal meiner Meinung nach eine zu große Toleranz der Intoleranz gegenüber, wie sie von eher linksliberalen Kreisen seit geraumer Zeit sowohl postuliert als auch praktiziert wird, auch nicht hilfreich ist, um unsere freie Art zu leben, die wir zu schätzen und zu lieben gelernt haben, gegen Attacken von o.g. Kreisen zu schützen und zu verteidigen. Hier ist meiner Meinung nach eine demokratische Rechtsstaatlichkeit, die sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt gefragt, anstatt eine systematische Aufweichung unseres Rechtsstaates in allen möglichen Bereichen. Wir sollten mit niemandem über unsere Freiheit verhandeln. Zu viele Menschen sind seit der französischen Revolution und Aufklärung schon dafür gestorben. Wir sind es ihnen schuldig, dass wir für unsere Werte mit aller nötigen Entschlossenheit eintreten.

Auf „Europa“ singt ihr die Zeile „Europa, stirb langsam“ – Glaubt ihr, das Konzept Europa würde vermisst werden, falls es untergeht?

DERO: Wir haben diesen Song absichtlich so gestaltet, dass er hauptsächlich Fragen aufwirft. Grundsätzlich finde ich, dass es weitaus wichtiger ist Fragen zu stellen, als sich vorschnell mit meist viel zu einfachen Antworten auf eine immer komplexer werdende Welt zufrieden zu geben. Viele ursprünglichen Gründe eines vereinten Europas, wie die Tatsache, dass man irgendwann beschlossen hat, sich gegenseitig zu vertrauen anstatt sich, wie es vorher ja fast permanent der Fall war in Europa, gegenseitig zu bekämpfen und zu bekriegen. Später kamen die innereuropäischen offenen Grenzen dazu, die ich ebenfalls sehr schätze. Als Musiker, der regelmäßig durch Europa tourt, lernst du natürlich auch die Vorteile einer einheitlichen Währung zu genießen, allerdings taten sich hier schon schnell viele Kehrseiten dieser Medaille auf, weil die ärmeren Mitgliedsstaaten natürlich deutlich benachteiligt sind durch den Euro. Der Reglementierungs-Wahn und Stellvertreter-Lobbyismus, der sich in Brüssel abspielt, einem Parlament, welches ja nicht mal wirklich demokratische gewählt ist, bleibt äußerst kritikwürdig! Wenn Intransparenz und Korruption regieren, weiß man, dass etwas gehörig schiefläuft. Überall in Europa und auf der ganzen Welt können wir momentan beobachten, dass sich auch die sogenannte „freie westliche Welt“ immer mehr in Richtung Diktatur bewegt. In Deutschland sind Zensur-Apparate wie das NETZWERKDURCHSETZUNGSGESETZ erste beängstigende Vorboten einer Regierung, die sich mit aller Macht und Willkür die eigene Machtposition erhalten will. Wir als freie Bürger sind angehalten, dem ein klares Zeichen entgegenzusetzen. Die „Gelbwesten-Bewegung“ in Frankreich, die in diesen Tagen bereits nach Großbritannien herüberschwappt, zeigt den eigentlichen Volksvertretern (diesem Begriff kommen leider nur noch die wenigsten Politiker nach), dass das Volk diese autokratische Politik nicht weiter akzeptieren wird. Als Freund der ursprünglichen demokratischen Idee („Das Volk regiert!“) befürworte ich diese Bewegung sehr!

Bei welchem Song vom Album freut ihr euch am meisten darauf, ihn auf der Bühne zu feiern?

DERO: Wir werden 4-5 Stücke vom neuen Album für den Live-Einsatz auswählen, von denen wir ausgehen, dass diese am meisten vom Publikum abgefeiert werden und bei denen wir gleichzeitig am meisten Spaß auf der Bühne haben. Diese Entscheidung werden wir uns selbstverständlich nicht leicht machen.

OOMPH! feiern dieses Jahr Dreißigjähriges. Was ist die wichtigste Lektion, die ihr in drei Dekaden Musikindustrie gelernt habt?

DERO: Die wichtigste Lektion ist: Erwarte das Unerwartete! Verlässlichkeit gibt es in dieser Branche schon lange nicht mehr. Wir haben viele Labels kommen und gehen sehen und haben dennoch selbst über all die vielen Jahre überlebt, worauf wir überaus stolz sind!

Das Album endet mit der sehr düsteren Ballade „Seine Seele“, die nach dem Hören erstmal verarbeitet werden muss. Woher kommt die Geschichte, die ihr in dem Song erzählt?

DERO: Natürlich ist dieser Song den vielen Geschichten entsprungen, die das wahre Leben über Kindesentführungen und Versklavungen, über sexuellem Missbrauch und Gefangennahme über viele Jahre schrieb. Natascha Kampusch und Joseph Fritzl sind da die prominentesten Beispiele in Europa, allerdings gibt es solche Fälle leider auf der ganzen Welt. Ich fand die Idee interessant, dass sich das Opfer wehrt und schließlich auf sehr krasse Art und Weise im Körper ihres Peinigers die Seele sucht. Sicherlich eine grausame Vorstellung, aber das Leben ist noch weitaus grausiger als unsere künstlerische Umsetzung, fürchte ich.

Ist Gewalt, genau wie Tod und Liebe, ein ewiges Thema der Musik?

DERO: Sicherlich sind es seit jeher die menschlichen Abgründe, die Künstler auf der ganzen Welt umtreiben. Unsere Welt ist noch immer bestimmt von Krieg, Sex, Gewalt, Verführung, Ausbeutung, Manipulation, Machtmissbrauch und Unterdrückung. Ob sich das jemals ändern wird, bleibt dahingestellt…

„TRRR – FCKN – HTLR“ behandelt den Skandalkult und Schlagzeilenwahn. Was ist eure Lieblingsschlagzeile über euch?

DERO: „OOMPH! – Der Wahnsinn aus Wolfsburg!“ (BRAVO 1999)

gefolgt von

„OOMPH! – Rockerkrieg gegen Heino!“ (BILD 2014)

*LOL*

Was würdet ihr eher verbieten: soziale Medien oder Boulevardpresse?

DERO: Eine äußerst heikle, weil zutiefst rhetorische Frage. Als überzeugter Friegeist würde ich selbstverständlich keine der beiden Medienabteilungen verbieten, denn beiden bereichern eine aufgeklärte, freiheitliche und demokratische Gesellschaft auf ihre Weise. Ich bin gegen jedwede Form der Zensur und erachte die Meinungs- und Redefreiheit für unverhandelbar. Dass viele selbsternannte „liberale“ Regierungen das momentan anders sehen und allerorts die freie Meinung einengen und beschneiden, erschreckt und erzürnt mich gleichermaßen.

Ihr habt als Band viele Dinge erreicht, wurdet beim Echo ausgeschlossen und habt den Bundesvision Song Contest gewonnen. Welches Ereignis der letzten Jahre war für euch das wichtigste?

DERO: Da gibt es viel zu viele wichtige Ereignisse, um nur ein einziges zu nennen. Unsere Sturheit und unser langer Atem sind wohl die wichtigsten Eigenschaften, die unser langes Bestehen bis dato gewährleistet haben. Als Band der deutschen Wendezeit (uns gibt´s ja bereits seit 1989) sind uns natürlich politisch betrachtet der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands als Ereignisse am stärksten in Erinnerung geblieben. Auch heute noch sehe ich mir mit Vorliebe Dokumentationen und Berichte über diese Zeit auf Youtube und Co. an. Eine überaus bewegende und berührende Zeit für ganz Europa, mit vielen Sonnen- und Schattenseiten.

Und welchen Coup plant ihr als nächstes?

DERO: Wir werden im Februar mit einem klassischen Orchester in Kiew spielen. Wir hatten Ende letzten Jahres bereits zwei ganz ähnlichen Auftritte in Moskau und St. Petersburg, wo wir ebenfalls mit einem klassischen Symphonie-Orchester zwei Headliner-Shows absolviert haben. Sowohl die Erfahrung an sich, als auch die Resonanz des Publikums waren überwältigend, weshalb wir uns auch schon sehr auf dieses dritte klassischen Konzert, diesmal mit einem ukrainischen Orchester, freuen. Danach werden wir uns intensiv auf unsere Europa-Tournee zum „Ritual“-Album vorbereiten. Auf diese Tour freuen wir uns natürlich mindestens ebenso sehr wie auf die Klassikshow in der Ukraine!
Vielen Dank!

OOMPH! „Ritual“-Tour 2019
+ Support: NERVENBEISSER

01.03.2019 Hannover, Capitol Hannover
02.03.2019 Berlin, Astra
03.03.2019 Hamburg, Markthalle
05.03.2019 Bochum, Zeche
06.03.2019 Wiesbaden, Schlachthof
08.03.2019 Stuttgart, Im Wizemann
09.03.2019 München, Backstage
10.03.2019 Dresden, Kraftwerk Mitte
12.03.2019 Leipzig, Täubchenthal
13.03.2019 Nürnberg, Der Hirsch
15.03.2019 Köln, Live Music Hall
28.03.2019 Dornbirn, Conrad Sohm (AUT)

Tickets können bei allen bekannten VVK-Stellen sowie über Eventim geordert werden.

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