Hocico – HyperViolent (CD-Kritik)

HocicoIm 29. Dienstjahr beliefert uns das mexikanische Aggrotech-Duo Hocico mit einem neuen Langspieler. Unter dem Titel “HyperViolent” steht uns ein weiteres von insgesamt über einem Dutzend Alben bevor, und das Wissen, dass wir mit Racso und Erk zwei Künstler, die ihr Handwerk beherrschen, vor uns haben, bietet allerlei Grund zur Freude.

Verheißungsvoll beginnt das Album mit dem Intro „When The Trumpets Of Hate Blow“, das uns mit schwelenden Synthesizern, komprimierten und hintergründigen Gitarren sowie predigerartig gehauchten Vocals in Stimmung bringt. Die bereits bekannte Single „Broken Empires“ empfängt uns schließlich mit großen und schweren Industrial-Klängen, die an die Bedrohlichkeit des Intros anschließen. Mit einem „Head Like A Hole“-ähnlichen Groove und den bekannten verzerrten Vocals packt uns dieser Song, um uns langsam nach unten zu ziehen – in die finsteren Soundwelten, die Hocico hier erwartungsgemäß meisterlich konstruieren. Wie die bassigen Drums in den Bauch drücken, das macht schon Spaß – „Absolute power and control!“

Schneller wird das Tempo auf „Acts Of Aggression“, und hier bewegen wir uns schon in dem Sound, für den Hocico bekannt sind: Mit schnappenden Sirenen-Synths und wilden Drumpatterns fliegt einem hier gewohnheitsmäßig alles um die Ohren – „You know it hurts.“ Eine wunderbare Aggrotech-Nummer, die knallt und aufreibt. Beim Hören dieser Nummer will man sich einfach bewegen, man kann nicht anders. Wie Faustschläge prasselt dieser Beat auf uns ein, und der Text verkündet düstere Appelle („Get away from me“). „Un Sepulcro Sin Cadaver“ (zu deutsch: Ein Grab ohne Leiche) hingegen schlägt wiederum eher mystische Töne an, mit einem wuchtigen Sound, wie man es auch von der befreundeten Band Blutengel hören könnte, samt Keyboardchören und synthetischen Orchestral Hits. Gepaart wird dieser Instrumental-Song in der ersten Hälfte mit einer fast schon spieluhrartigen Melodie, und als Gelegenheitsgamer fühle ich mich hier an einige düstere Momente aus Rollenspielern der 90er Jahre erinnert. Atmosphärisch und eindrucksvoll, dramatisch und wunderbar aufgebaut.

Mit „What Are Dreams Made Of?“ schließt sich ein weiterer eher wenig „aggro“-artiger, für Hocico-Verhältnisse fast schon poppiger Song an. Über dieses Instrumental könnte fast auch ein Sven Friedrich singen, doch Erks komprimierte und verschobene Shouts liefern den dunklen Dreh, der die Stimmung in die richtige Richtung dreht und dieses Element des Fremden, Unfreundlichen und tendenziell Gefährlichen in den Song bringt: „Wake up […] now it’s time to face your fears.“ „Hacked Society“ ist ein wummsiger Stampfer, dessen Power zu einem nicht zu vernachlässigenden Teil wieder in den finster kloppenden Drums liegt, über die Erk in der Bridge seine Parolen im Doubletime vorträgt. Vocal Samples fügen diesem bösen Gewitter die nötige Industrial-Prise hinzu, und nach dreieinhalb Minuten ist die Distortion auf dem Gesang so stark, dass es nahezu nach einem Systemfehler klingt. Rabiat und straightforward präsentiert sich dieser Song mit Strobolicht und Nachdruck.

Mit „El Jardin De Las Locuras“ („Der Garten der Torheiten“) folgt ein weiteres ungeheuer stimmungsvolles Instrumental, das fast mehr ein Ambient-Stück ist, samt Gewitterge- räuschen, Sprachsamples und ominösen Sounds, die ihren Einsatz finden, um die Atmosphäre abzubilden. Unter anderem wird hier eine legendäre Szene aus dem etwa zehn Jahre alten Film „There Will Be Blood“ zitiert: „I drink your milkshake!“ Mit dem kreischenden „Backstabbers“ holt uns die Band wiederum zurück – Dark’n’Bass vom Feinsten, Erk brüllt sich die Seele aus dem Leib, und so ziemlich alles an der Instrumental-Front läuft Amok. Die bisher wohl größte Welle an musikalischem Blutrausch ergießt sich in diesem Song und kulminiert sich in einem wahrhaft mitgrölbaren Refrain. Laut, rau und manisch knallt es hier gewaltig, und es ist ein einziges Vergnügen.

Auch die Single „Lost World“ ist eine Nummer, die ordentlich Dreck aufwirbelt, wenn auch keine derartige Totaleskalation wie der Vorgängertrack. Sofern seine Stimme nicht zu einem Instrument gemacht wird, förmlich aufgebrochen und in den Beat eingewoben, hört man Erk hier fast schon oberflächlich sozialkritische Töne anschlagen. Die Welt ist verloren, die Menschheit verkommen, „The world we know is lost / We’ve forgotten where we came from“. Ein Hauptthema der Band – die Wut auf die Welt um uns und die Menschen, die darin leben – wird hier mit Intensität und musikalischem Zorn dargelegt. Mit „Black Reflection“ folgt ein weiteres Instrumental, das einige Parallelen zu „Un Sepulcro Sin Cadaver“ aufweist, aller- dings durch famos klickende und surrende maschinelle Soundscapes das Gefühl einer dräuenden Gefahr großartig zu vermitteln weiß.

„N.W.O.“ ist ein Brecher, der keine halben Sachen macht. Hier rennen E-Gitarren, Drums und Sirenen-Sounds förmlich um die Wette. Am ehesten ist dieser Song wohl im Industrial-Metal zu verordnen, geht wahnsinnig nach vorn und beschäftigt sich, wie der Titel schon suggeriert, mit der „Neuen Weltordnung“, einer beliebten Verschwörungstheorie. Nochmal metallastiger wird es hingegen auf „Crown Of Knives“. Zwischen Thrash und, vor allem anderen, Black Metal bewegen sich Hocico hier auf überraschendem Terrain, und die epische Länge von fast sieben Minuten besteht aus einem fast durchgängigen Overkill, gepaart mit einigen technisch beeindruckenden Growls und Screams. Ihre Fähigkeit zur Versatilität beweisen die Mexikaner, indem sie hier einen lupenreinen Über-Headbanger abliefern, infundiert aber auch weiterhin mit diversen epischen Synthesizern. Das macht den Song einerseits außergewöhnlich, andererseits passt er wahnsinnig gut in das Repertoire der Band – das, worin geballte Aggressivität und Zynismus musikalisch münden könnte, finden wir auf diesem Song, der ein Kernstück des Albums ist und vielleicht zu einer zentralen Nummer im gesamten Repertoire der Hocico-Diskographie werden könnte, so gut, wie er die Stimmung einfängt, so brachial, stürmisch und blutrünstig er ausfällt.

Mit „Peccata Mundi“ („Die Sünden der Welt“) wird uns ein weiteres Instrumental geliefert, mit einer Verdammnis versprechenden Atmosphäre und einer Melodie, die an Neo-Klassik erinnert. Gewisse Doom-Einflüsse werden auch hier erkenntlich, bevor die Nummer schließlich mit einigen großen Synth-Hits zu einem massiven, kraftvollen Ende kommt, als habe sich die Pforte zur Hölle geöffnet und das Böse sei in all seiner Größe und Dunkelheit über uns hereingebrochen.

Fazit: Hocico kombinieren auf ihrem neuen Album Elemente diversester Genres, sowohl dem Metal in verschiedenen Ausführungen, als auch dem Industrial oder dem Techno/ Drum’n’Bass, um ein sehr genau exekutiertes, stimmiges und gleichsam vielseitiges Album hinzulegen. “HyperViolent” schafft es, die verschiedenen Stränge, von schleppenderen und mehr vom Ambiente lebenden Instrumentals über Synthgewitter bis hin zur Black-Metal-Nummer „Crown Of Knives“ (durch den Überraschungsmoment eines meiner Highlights) ein großes Ganzes zu spinnen, das durch seinen Abwechslungsreichtum und seine gut gesetzten Details durchgängig spannend bleibt und viele fast schon filmische Ansätze in seiner Progression bietet. Das mexikanische Duo übt sich hier an den verschiedensten Fronten, und all ihre Versuche gehen auf. So ist “HyperViolent” ein Erfolg im Einfangen von Wut, Verzweiflung, Resignation und Kälte, ja Boshaftigkeit. Eine wahrlich respektable Platte von den Altmeistern.

Tracklist:

01 When The Trumpets Of Hate Blow
02 Broken Empires
03 Acts Of Aggression
04 Un Sepulcro Sin Cadaver
05 What Are Nightmares Made Of?
06 Hacked Society
07 El Jardin De Las Locuras
08 Backstabbers
09 Lost World
10 Black Reflection
11 N.W.O.
12 Crown Of Knives
13 Peccata Mundi

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VÖ: 14.04.2022
Genre: Industrial, Aggrotech
Label: Out Of Line

Hocico im Web:

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