Unter den Fahnen des EDM-Rock präsentieren Blitz Union ihr allererstes Studioalbum “Absolution”, das mit schön knackigen Riffs und stechenden Sounds daherkommt, sowie den einen oder anderen Ohrwurm zu bescheren weiß. Trotz ihrer bisher recht überschaubaren Diskographie (die EP „Revolution“ aus dem Jahr 2019) beherrschen die Prager die Klaviatur zwischen industriellen Marschierklängen und Pop-Appeal bereits tadellos – da dient als Beispiel nur „Plastic“, das strammstehende, beherrschende Momente genauso beinhaltet wie einen energe- tischen Refrain, der an die eine oder andere Popnummer der Neunziger erinnert.
„To the left, to the right / I see dollars in their eyes“ heißt es auf „Money-Crazy World“, ein weiterer Brecher mit Ohrwurm-Hook und Techno-Breakdown. Zu tanzen gibt es hier einiges, zu schreien auch. Die infektiösen Refrains sitzen zielsicher und hauen ordentlich aufs Brett, sodass man sie nahezu sofort mitsingen kann, gleichsam aber merkt man, dass es hier um etwas geht; wenig überraschend wird hier Geldgier angeprangert. Noch nie war Kapita- lismuskritik so tanzbar. Dazu noch einiges an Future Pop-Ästhetik, und schon hat man alles, was man möchte. Verdammt, geht diese Band ins Ohr. Die Farben flackern nur so förmlich vor dem inneren Auge.
So ist es auch auf „Hotel India Victoria“ – energetisch und voller Power knallt der stramme Beat dahin. Der Text hingegen erzählt eine andere Geschichte, denn inhaltlich behandelt dieser Song die Krankheit HIV, die die Band aus dem öffentlichen Diskurs nahezu ver- schwunden sieht, obwohl diese Krankheit nach wie vor weltweit Millionen Menschenleben einfordert – „Everyone’s positive to tears“. Der Titel, der sich dem NATO-Alphabet entlehnt, reizt diese Hotel-Metapher mit vollem Eifer aus – jeder sei willkommen, unabhängig von Hautfarbe und Religion. Die immanente Gefahr, die von dieser Krankheit für Menschen unabhängig ihrer Herkunft (und Sexualität, wie ich betonen möchte) ausgeht, wird somit auf eine äußerst elegante Weise thematisiert und mit Schmackes instrumentiert. Denn nimmt man den bedrückenden Kontext, bleibt ein Brecher von einem Song übrig, der mitreißt und abgeht.
Schön fett bleibt es auf „TV“, wo mit pointierten Zeilen und zackigen und kraftvollen Riffs das Fernsehen aufs Korn genommen wird. Zwar ein bisschen oldschool – die aktuelle Generation wird wohl nicht mehr unbedingt vom Fernseher erzogen, Spaß macht es trotzdem, wie hier fast abzählreimartig aufgelistet wird, was das lyrische Ich alles aus der Flimmerkiste gelernt haben will – vom Kochen übers MMA-Kämpfen bis hin zu paartherapeutischer Praxis. Ein sehr unterhaltsamer Track, der darüber hinaus auch gut abgeht. „Not Proud (To Be A Human Being)“ erhebt sich dann zur Abrechnung mit der Menschheit an sich – zwar auch nicht das innovativste Thema überhaupt, gleichsam jedoch natürlich eine endlose Quelle an Inspiration. Und wenn das Ganze dann lyrisch so einprägsam und kompakt eingefasst wird, und darüber hinaus auch noch mit einem schön schnellen Beat und ordentlich knallig daherkommt, macht es wieder Spaß, sich wie ein Teenager zu fühlen, der anders ist und den Rest ein bisschen despektierlich begutachtet.
Gelegentlich wird der Bogen aber auch etwas überspannt – so klingt „The Truth“ fast schon ein wenig wie die Scooter-Version von „I Was Made For Loving You“. Klar, das bedeutet auch, dass man hier ordentlich abgehen kann, aber ich bevorzuge das etwas fiesere „Candidate“, das zwar lyrisch weniger überzeugt, stattdessen aber wartet Sänger Mark Blitz hier mit einem ordentlichen Marilyn Manson-Einschlag zwischen tiefem Gekratze und Falsetto auf. Zudem hat dieser Song einen ordentlichen Wumms, der so zum Mitnicken anregt, dass es fast schon wieder ein augenzwinkernder Kommentar auf Populismus ist, was wiederum perfekt zum Inhalt des Songs passt.
Schließlich wäre da noch das düstere und langsame „S.V.P.D.A.“, der Song auf der Platte, der einer Ballade wohl am nächsten kommt. Dieses Finale ist der atmosphärisch dichteste Song der Platte, bedrohlich, angespannt, garniert mit Wikinger-artigen Chören, einem fast schon Dupstep-artigen Breakdown und Qualitäten, die hier und da fast schon die Qualität des letzten Within Temptation-Albums aufweisen. Ein sehr starker Endpunkt, der schließlich durch die etwas ironisch wirkende Piano-Version von „TV“, die fast nach Abba klingt, abge- federt wird. Einerseits bekommt dieser Abschluss nach dem Grande Finale eine Art End-Credit-Charakter, andererseits finde ich den Gedanken, gerade diesem sarkastischen Feuer- werk einen Piano-Anstrich zu verpassen, ausgesprochen sympathisch. Zudem beweist diese auch noch die Stärke der Melodie.
Fazit: Blitz Union legen ein sehr starkes Debüt vor, das sich den eigenen Qualitäten sehr bewusst ist. Melodiös unheimlich stark, textlich hier und da vielleicht etwas plakativ, an einigen Stellen aber auch herrlich ironisch. Gerade das sind die starken Momente von “Absolution” – wo sich Blitz Union in Kombination mit ihrem enormen Hitfaktor gleichsam augenzwinkernd zeigen. Augenblicke des Um-die-Ecke-Denkens, wie zum Beispiel auf „Hotel India Victoria“, geben der Platte zusätzlich zu ihrem infektiösen Soundbild und Ohrwurm- charakter einen ganz besonderen Kick. Hier ist eine enorm selbstbewusste Band am Werk, und dieses Selbstbewusstsein hört man in jedem Moment. Ein sehr starker erster Long- player, den man auf mehreren Ebenen feiern kann.
Tracklist:
01 Get Up
02 Plastic
03 Money-Crazy World
04 Hotel India Victoria
05 My Own Road
06 TV
07 Not Proud (To Be A Human Being)
08 The Truth
09 Human Robot
10 Candidate
11 S.V.P.D.A.
12 TV (Piano Version by Tina Amvom)
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Release: 26.11.2021
Genre: EDM-Rock
Label: Dreamstart Music (Membran)
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