Atomic Neon – Remember Me (CD-Kritik)

Am 18. Mai 2018 erschien das neue Album der Gothic-Band Atomic Neon unter dem Titel „Remember Me“ über das Label Alice In… Zusammen mit den beiden Bonustracks werden uns insgesamt 12 Songs mit einer Spielzeit von über 60 Minuten geboten. Was taugt der fünfte Langspieler zehn Jahre nach dem Debüt? So viel sei schon mal gesagt: Ziemlich viel.

Das Album nimmt mit dem leicht verträumten „Blue Angel“ Fahrt auf, ein schöner Gothic-Rock-Song, mit einigen Andrew-Eldritch-Reminiszenzen im Gesang. Der sehr gute Opener endet – leider – mit einem Fade-Out. Damit kann ich persönlich nicht sonderlich viel anfangen, in den Achtzigern war ja auch nicht alles gut. 😉 Wer nach diesem Song ein klassisches Gothic-Rock-Album erwartet, liegt sehr falsch: Viel tanzbarer, waviger und fast schon Bowie-esk geht es auf „One Prayer“ zu, der catchy Nummer 2 auf der Platte. Cooler Song, der zum Mitnicken einlädt. Die Abwechslung geht weiter. Fast schon punkig kommt „Romy’s Death“ daher, eine Uptempo-Nummer mit einigen Gothic-Riffs und mit tiefer Grabesstimme vorgetragen. Coole Nummer, die in der Bridge sogar kurzzeitig ziemlich heavy wird. Der Titeltrack „Remember Me“ hingegen ist nun vollständig in der New Wave angesiedelt, der Song atmet legère die DNA von The Cure. Leicht, groovy, schön, erinnert fast ein bisschen an den einen oder anderen Song vom aktuellen Drangsal-Album. Mit „Twist It“ ist wieder eine etwas rockigere Nummer vertreten, die klingt wie ein Green Day- oder Guns’n‘Roses-Song mit sehr düsterem Twist – passend zum Titel. Auch das ist ein schöner Mitnicker, dem gleichzeitig diese tolle Schwere innewohnt. Das Arrangement ist superspannend, zwischenzeitlich blitzt auf dem rechten Ohr eine stark verzerrte Lo-Fi-E-Gitarre auf. Der nächste Song, „Not Real“, ist wieder etwas ein langsamerer Wave-Track mit einigen Rocksounds, und auch hier geht die Abwechslung weiter, denn Rio Black findet immer wieder neue Arten und Weisen, seine Stimme einzusetzen. Das Gleiche gilt für „Decay“. Wer glaubt, dass Atomic Neon auf dem siebten Track langsam die Ideen ausgehen sollten, irrt. Hier klingen die Vocals dreckig, kratzig und fast röchelnd. Wir bewegen uns wieder im Gefilde des Rocks, das hier könnte fast ein Midtempo-Stadion-Feuerzeugschwinger sein. Der Song klingt verzweifelt, und durch den Gesang, der klingt, als käme er aus dem Mund eines langsam gebrechlich werdenden Mannes, unterstreicht das Gefühl des Verfalls. Ziemlich geil. Und so geht es auch mit „Stranger Things“, ein Song, der wieder ordentlich Bowie-Gefühle aufkommen lässt. Gleichzeitig könnten die Vocals hier auch rein durch die Betonung und die Melodie von einem gewissen Frank-N-Furter kommen, doch dazu später mehr. Der einzige deutsche Song der Platte ist „Keine Lügen“. Nun sind wir wirklich im NDW angekommen. Musikalisch hat das fast von Joachim Witts „Edelweiß“-Zeiten, nur um einiges düsterer, und ich muss gestehen, ich bevorzuge das hier gezeichnete Porträt einer zerstörten Seele definitiv der Umgehungsstraße kurz vor den Mauern unserer Stadt (und das, obwohl mich der „Goldene Reiter“ durchaus zu faszinieren weiß). Wäre dieser Song in der Hochzeit der Neuen Deutschen Welle erschienen, er wäre mit großer Sicherheit ein Hit geworden. Der letzte Song des Albums, „The Graves“, geht wieder los, als sei er geschrieben worden, um den Madison Square Garden zum leisen Hin- und Herwippen und alle anwesenden Pärchen zum Knutschen zu bringen. Dabei wohnt auch diesem Song eine wunderbare Düsternis inne, es klingt für mich ein bisschen wie eine langsamere Version von Depeche Mode’s „Suffer Well“, kombiniert mit „I’m Going Home“ aus der Rocky Horror Show, jedoch noch viel tiefer, düsterer und fast herzzerreißend. Mit gedrosseltem Tempo schreitet dieser Song in Richtung Ende der Platte, unterstrichen wird die melancholische Atmosphäre noch durch die jazzigen Orgelklänge, die im zweiten Teil im Hintergrund zu hören sind. Ein wirklich gelungenes Outro. Als zusätzliches Schmankerl wird dem Hörer noch eine Sinfonic-Version von „Decay“ geliefert, mit leicht pathetischen Synthie-Streichern, die dem Song jedoch ganz gut zu Angesichte stehen, und eine fast zehnminütige Fassung von „Keine Lügen“, die an die Zeit der guten alten 12“-Singles erinnert, entlässt den Hörer dann garniert mit einem ziemlich schicken Gitarrensolo, das ebenfalls an einige der größten Rockbands zu erinnern vermag, in die Stille.

Fazit: Dieses Album heißt „Remember Me“, und tatsächlich gelingt es ihm sehr ausge- zeichnet, in Erinnerung zu bleiben. Atomic Neon bestechen auf diesem Album durch Vielseitigkeit und eine Rundschau durch das, was viele als die Hochzeit der Musik betrachten. Hervorragende Instrumentenarbeit und ein unglaublich talentierter Sänger kommen hier zusammen, eine etwas knackigere Produktion wäre das Letzte, was noch zu wünschen übrig ließe. Kurz gesagt, ein wirklich gut gelungenes, vielseitiges Post-Punk-, Gothic- und Wave-Album, das sich kaum mit einem Oberbegriff zusammenfassen lässt und dennoch erfolgreich so viele verschiedene Songs unter einen Hut bringen kann. Meine Favoriten sind „Decay“, „One Prayer“ und „The Graves“, obwohl jeder Song es schafft, mich irgendwie zu faszinieren. Weiter so, großes Ohrenkino!

Tracklist:

01 Blue Angel
02 One Prayer
03 Romy’s Death
04 Remember Me
05 Twist It
06 Not Real
07 Decay
08 Stranger Things
09 Keine Lügen
10 The Graves
11 Decay (Sinfonic)
12 Keine Lügen (Extended)

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VÖ: 18. Mai 2018
Genre: Post-Punk, Wave & Goth-Rock
Label: Alice in… (Broken Silence)

Atomic Neon im Web:

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