Assemblage 23 – Mourn (CD-Kritik)

Assemblage 23Als er siebzehn war, schuf Tom Shear aus Seattle für sein Musikprojekt den Namen Assemblage 23. Jetzt ist er 49 und immer noch der einzige Musiker, komponiert, spielt ein, textet und singt. „Mourn“ ist das mittlerweile neunte Studioalbum und erscheint vier Jahre nach „Endure“, und schon der Albumtitel klingt, als würde er anknüpfen: Nach dem Aushalten kommt das Trauern. Und selten kam das Trauern so tanzbar daher. Was das Gefühl beim Hören angeht, trifft Tom Shear genau das Gefühl der Gothic-Szene: Zur Musik möchte man tanzen, die Texte berichten von Problemen mit der eigenen Identität, dem Außenseitertum, der Sensibilität.

Schon der Opener „Epiphany“ bringt das ideal auf den Punkt. Auf „Factory“ hingegen scheint der Amerikaner auch den einen oder anderen gesellschaftskritischen Ton anzuschlagen. Letzterer hat zudem eine sehr ansteckende Melodie, irgendwo ein wenig verunsichernd, aber vor allem ungeheuer tanzbar. „Bloom“ ist ein Slowburner, der mit der großartigen und stimmungsbildenden Zeile „Destruction sounds like rain“ eröffnet wird. Allmählich richtet sich dieser Song auf, formiert famose Bilder. Der Refrain kontrastiert die Düsternis und die etwas aufreibende Atmosphäre mit einer gewissen Melancholie. Auch die Nummer „Anxiety“ ist ein Triumph, und schafft das im Titel angedeutete Gefühl angemessen zu treffen. Die relativ einfach gehaltenen Melodien, die wir hier zu hören bekommen, treffen ins Schwarze. Es gipfelt im geshouteteten Chorus, der hier eine glänzende Figur abliefert. Eine brodelnde Industrial-Nummer, die sich gewaschen hat.

Die langsamen, eindringlichen Tempi und bedrückenden Melodien finden auch auf „Confession“ ihre Fortsetzung, gekoppelt mit dem sonoren Gesang von Tom. Etwas mehr „upbeat“ hingegen gerät „Dissonance“. Alles in allem ist die Nummer ordentlich tanzbar, doch die im Titel angesprochene Dissonanz wird in diesem Song wunderbar wider- gespiegelt. Die Melodie ist wundervoll und macht gute Laune, doch der Text erzählt von Reue, Existenzkrisen und Fatalismus. „I hate this dissonance, this discontent that strangles me.“

Auch „Welcome, Apocalypse“ ist clubtauglich und hat einen ausgesprochen großartigen Groove. Lyrisch wird hier der Weltuntergang zelebriert und willkommen geheißen: „Welcome, apocalypse! We’ve been awaiting you!“ – Gepaart mit ein paar scharfen Beobachtungen, bei denen dystopische Zukunftsvision und der aktuellen Situation unseres Planeten sich vermischen. „Could’ve“ ist mit ziemlich genau vier Minuten Spieldauer tatsächlich der kürzeste Track des Albums und klingt wieder um einiges bitterer. Der Text wirkt ein wenig wie eine Abrechnung, bei der es, zumindest meines Verständnisses nach, um Gerüchte oder gar um Kritik geht. „Two sides to every story – it really shouldn’t be that hard“. Gelegentlich holpern die Reime etwas, doch musikalisch ist diese Nummer ein Hochgenuss, auch wenn der Text hier und da fast schon etwas ungelenk wirkt. Aber auch ohne große Poesie macht die Nummer durchaus Laune.

Auf „Tragedy“ erfreut mich vor allem der Gesang von Tom. Auch textlich ist die vorletzte Nummer um einiges stärker, und musikalisch wird es auch wieder etwas feierlicher. Viel Neues wird hier jedoch nicht probiert, auch wenn die Bridge ziemlich cool ist. Womit wir beim letzten Song wären – „This House Is Empty“ hat durchaus Outro-Qualitäten, beinhaltet den vielleicht schönsten Refrain des Albums und wirkt wie das Fazit. Wo man sich einst Versprechungen macht, bleibt heute ein leerstehendes Haus. Entseelt, entkernt. Mit der Wiederholung der Zeilen „Burn it down“ erreicht die Hoffnungslosigkeit schließlich ihr Finale. Ein ziemlich bezeichnender Schlusspunkt, scheint er doch metaphorisch das Bild, dessen einzelne Bestandteile die vorherigen neun Tracks beleuchteten, zu einem guten Gesamtkunstwerk zusammenzusetzen: Nach der Epiphanie, der Blüte, der Apokalypse und der Tragödie bleibt man schließlich ausgebrannt zurück. Ein wohlgesetzter Schlusspunkt für ein Album, dessen Oberthema die Trauer ist.

Fazit: Nach dem Hören des Closers dieser Platte bekommt man durchaus das Gefühl, dass es sich bei „Mourn“ von Assemblage 23 im weitesten Sinne um ein Konzeptalbum kennen könnte. Achtet man ein wenig auf den Fluss, die Texte, oder auch nur die Titel der Songs, kristallisiert sich zumindest auf gewisse Art und Weise ein roter Faden heraus, der das Album noch interessanter macht. Aber auch wenn diese Theorie falsch sein mag, ist diese Platte auf jeden Fall das Reinhören wert. Auch wenn man nach der Hälfte die musikalische Bandbreite des Albums weitestgehend abschätzen kann, so bleiben die Melodien trotzdem infektiös und entbehren hier und da nicht einer guten Idee. „Mourn“ ist nicht nur ein sehr persönliches Album, sondern auch eines, welches dem Hörer die Möglichkeit gibt, mitzufühlen, die eigene Geschichte in den Texten von Tom Shear wiederzufinden. Und es beherrscht das Spiel mit Dissonanzen. Meine Anspieltipps sind „Dissonance“, „Anxiety“ und „This House Is Empty“.

Tracklist:

01 Epiphany
02 Factory
03 Bloom
04 Anxiety
05 Confession
06 Dissonance
07 Welcome, Apocalypse
08 Could’ve
09 Tragedy
10 This House Is Empty

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VÖ: 11.09.2020
Genre: Electro
Label: Out Of Line

Assemblage 23 im Web:

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