Nur einen Tag vor seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag wird das achte Studioalbum des britischen Phänomens Anne Clark wiederveröffentlicht. Die mittlerweile sechzigjährige Poetin und Musikerin, die leider kürzlich an Krebs erkrankt ist (Ich wünsche ihr von Herzen gute Genesung!), macht somit ein weiteres ihrer Werke aus den Neunzigerjahren verfügbar. Nun, was hat „To Love And Be Loved“ ein Vierteljahrhundert später noch drauf? Eine ganze Menge. Dieses Album steckt voller Romantik, gekleidet in die gewohnt wundervollen Worte dieser Ikone. Ansonsten lässt sich die klare Linie der Anne Clark erkennen: Tolle Texte, die durch großartige instrumentale Arbeiten ergänzt werden. Letztere speisen sich aus den verschiedensten Genres, seien es Synthpop, Piano-Melodien, sogar Rock. Die Symbiose bleibt ungeheuer einnehmend und hochgradig faszinierend.
Anne Clarks träumerische Spoken-Word-Performance komplimentiert „Mundesley Beach“, ein Song mit so viel Liebe und Ruhe. „The Healing“ bietet im Gegensatz dazu einen teils fast chaotisch anmutenden Text, mit fast lasziven Anmutungen, in Kombination mit einer stark poppigen Melodie. Das Thema der Liebe auf den diversesten Ebenen sind das Oberthema auf dieser Platte, die – wie ein Großteil des Clark’schen Gesamtwerks – vor Zeitlosigkeit strotzt. Die musikalische Umsetzung der einzelnen Titel, teils sphärisch, teils hypnotisch, teils schöpfend aus den Methoden der Popmusik, wirkt nach wie vor. Und auch ein weiteres Mal zeigt sich: Ein Anne Clark-Album lässt sich am besten allein und bei voller Konzentration genießen.
Ein Album von Anne Clark zu hören kommt dem Lesen eines guten Gedichtbands gleich. Instrumentals wie „Acropolis“ dienen hierbei einerseits als Möglichkeit des Ausharrens, andererseits bleibt das Schwirren im Kopf, das leichte Schwindelgefühl der akustischen Reise, erhalten. Das Album lässt sich an genau den richtigen Stellen Zeit, und Anne Clark, quasi Poetry Slammerin im besten Sinne, schafft durch ihre Intonation ihrer bildreichen und tiefsinnigen Lyrik eine unvergleichliche Stimmung. „When you come, it goes so deep / Don’t make promises you can’t keep“, haucht sie auf „The Key“, und wirkt dabei einerseits todtraurig, andererseits so voller Hingabe. Tiefe Sinnlichkeit trifft innere Brüche und emotionale Dependenz. Und dann kommen immer wieder diese tollen Momente, in denen Anne Clark einfach ein einzelnes Wort in der Luft schweben lässt, dessen Wirkung sich in dieser Pause entfaltet.
„Athens“ ist ein Stück, das stärkere Bilder zu zeichnen weiß als viele Filme. Das unruhige Instrumental, diese faszinierenden kleinen Geräusche, und dazu das Flüstern von Anne Clark, die durch die reduzierte Lautstärke ihrer Stimme den Worten ein ungeheures Gewicht verleiht – so großartig. „Virtuality“ beschreibt auf fast dreizehn Minuten Länge einen Geschlechtsakt, und gerät dementsprechend abwechslungsreich, sich langsam aufbauend, stetig intensiver werdend. Die Zeilen dabei stecken einerseits voller sexueller Energie, doch stecken trotzdem voll tiefer Melancholie: „Getting harder makes it easier“.
Der Rausschmeißer des Kernalbums gerät dann wieder sehr überraschend: „Elegy For A Lost Summer“ hat teilweise fast Hip-Hop-artigen Charakter. Die Background-Sängerin erinnert an das im selben Jahr erschienenen „One More Chance / Stay With Me“ von The Notorious B.I.G., kombiniert mit leichten Disco-Touches und natürlich Anne Clarks Poesie. Erst verwirrend, entfaltet auch dieser stark an der damaligen Pop-Musik orientierte Song diese sehr eigenartige, doch voll und ganz wunderbare Atmosphäre, die typisch für Anne Clarks Musik ist.
Ein Re-Release kommt selten ohne Bonusmaterial. In diesem Falle müssen der besagte Schlusssong sowie „Letter Of Thanks To A Friend“ für ein paar mehr oder minder interessante Edits beziehungsweise Mixes hinhalten. Schön und gut, aber auch uninteressant, denn einen Anne Clark-Song zu remixen, bedeutet in den meisten Fällen entweder, eine Version zu schaffen, die dem Original zu nahe kommt, oder die Atmosphäre zu unterminieren (Ausnahmen bestätigen die Regel, siehe z. B. „Sleeper In Metropolis 3000“). Auf die beiliegenden Bonusstückchen trifft hierbei ersteres zu. Sie sorgen als Zugaben zu diesem Album eher dafür, dass der abgeschlossenen musikalischen Reise ein Rattenschwanz anhängt, der ein wenig stört.
Von mir aus könnte man diese Alben auch ohne dieses Bonusmaterial neu veröffentlichen, es sei denn, es fände sich übrig gebliebenes Material, dessen Veröffentlichung im Kontext des Albums auch einen gewissen Sinn ergibt. Aber das ist mehr der Fluch des Re-Releases als wirklich die Schuld von Anne Clark, die ihre musikalischen Strukturen durch solches Auffüllen der CD-Laufzeit zwar nicht gebrochen, aber etwas angeschrammt sieht. Aber wer die Platte wirklich im Schrank haben möchte – besonders die schöne Gestaltung des Digipaks sei ein guter Anreiz dafür – braucht das nicht. Der Rest freut sich, dass das Album nun wieder bei den Streaming-Diensten auftaucht.
Fazit: Da dies nun die dritte Anne Clark-Platte ist, deren Re-Release ich hier beschreibe, möchte ich vermeiden, wie eine gesprungene Schallplatte zu klingen. Dennoch komme ich nicht umhin, auf ein Neues zu betonen: Was für eine tolle Künstlerin. Was für herrlich eigenartige und einzigartige Musik diese Frau geschaffen hat. Gleichzeitig so abseits jeglicher Trends und trotzdem nicht ohne Eingängigkeit, vor allem aber von großer Schönheit ist auch „To Love And Be Loved“, das bisher beste Album, das ich im Rahmen dieser Neuveröffentlichungen besprechen durfte. Die Erweiterungen der Tracklist durch B-Seiten-Stoff ist ja ganz nett, aber auch gleichzeitig völlig egal – das Album ist auch mit seinen zehn Kerntiteln schlicht und ergreifend fantastisch. Wie schon in meiner Review zu „The Law Is An Anagram Of Wealth“ gesagt: Anne Clark ist jetzt wiederzuentdecken. Also los, lieber lesende Mensch: Nimm dir dieses Album zur Brust, setz dich an einem schönen Sommerabend an einen ruhigen Ort und genieße diese Musik und die subtile, wunder- schöne Macht des gesprochenen Worts dieser weltenbauenden Intellektuellen.
Tracklist:
01 Dream Made Real
02 Mundesley Beach
03 Letter Of Thanks To A Friend
04 The Healing
05 Acropolis
06 The Key
07 Painting
08 Athens
09 Virtuality
10 Elegy For A Lost Summer
11 Elegy For A Lost Summer (Single Mix)
12 Elegy For A Lost Summer (606 Mix)
13 Letter Of Thanks To A Friend (Radio Edit)
14 Letter Of Thanks To A Friend (Club Edit)
15 Letter Of Thanks To A Friend (Instrumental Edit)
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Release: 31.07.2020
Genre: Experimental/Electro
Label: FDA / Anne Clark (Rough Trade)
Anne Clark im Web: