Joachim Witt ist eine Lichtgestalt der deutschen Kulturszene. Seit über 40 Jahren steht er als erfolgreicher Musiker auf der Bühne und hat in den Jahrzehnten seine Wandelbarkeit bewiesen: Von seinen Hits „Der Goldenen Reiter“ in der Zeit der NDW, der Begründung der neuen deutschen Härte in den 90er Jahren mit „Die Flut“, seinen Auftritten beim Wacken oder auch seiner jüngst entdeckten TikTok Karriere: Der 74-Jährige ist ein Chamäleon, oft provokativ und doch absolut integer. Am 15. September erschien nun mit “Der Fels in der Brandung” ein neues Album. Keine Metapher könnte zu Joachim Witt persönlich besser passen. (Quelle: Pressetext)
Anlässlich der Veröffentlichung von „Der Fels in der Brandung“ konnten wir den Ausnahme- künstler Joachim Witt erneut für ein Interview gewinnen und einige Fragen zum neuen Album stellen – aber lest selbst:
„Der Fels in der Brandung“ ist wieder bei einem Major Label erschienen – was hat sich in der Produktion geändert im Vergleich zu den „Rübezahl“-Alben, die du ja Independent gemacht hast?
Das „Rübezahl“-Kapitel ist jetzt abgeschlossen und ich wollte einen anderen Sound machen. Chris Harms hat einen tollen Job auf den letzten drei Alben gemacht, aber jetzt wollte ich etwas Neues ausprobieren und habe mit Elephant Music aus Flensburg auch ein anderes Produzententeam gewählt. Die sind für ganz verschiedene Sachen bekannt: von Beyond The Black bis Santiano und andere höchst kommerzielle Acts. Ich dachte: Das ist doch auch ein Feld, auf dem man sich mal ein bisschen austoben kann, mal sehen, was da zustande kommt.
Die Zusammenarbeit mit Marianne Rosenberg hat einige Szene-Fans schockiert (Ich fand’s großartig). Was hat diese Zusammenarbeit angestoßen?
Ich wollte mal wieder ein Duett machen und habe nach entsprechenden Partnern gesucht. Marianne Rosenberg fiel mir ein, weil es in der Kombination mit meinem – und auch mit ihrem – Hintergrund natürlich auch eine gewisse Provokation ist. Ich fand ihre Musik schon in meiner Jugend sehr charmant, also habe ich mir da auch einen Jugendtraum erfüllt. Für mich ist das ein historischer Moment gewesen, mit ihr zusammenzuarbeiten. Natürlich ist der Titel nicht jedermanns Geschmack, aber das ist immer so. Aber ich bin sehr zufrieden mit dem Duett, wir hatten eine schöne Zeit zusammen und es hat viel Spaß gemacht.
Ihr harmoniert gut, weil ihr beide eine gewisse politische und gesellschaftliche Relevanz habt: Du hast schon immer klar gesellschaftskritische Musik produziert, Marianne Rosenberg ist mit „Er gehört zu mir“ eine Ikone der Schwulenszene geworden. Euer Song behandelt unser Miteinander, wie auch das ganze Album sehr sozialkritisch geworden ist. Wie beobachtest du die Welt, um sie in Kunst umzusetzen?
Diese Themen bewegen mich immer wieder. Ich sehe es wie eine Mission, den Menschen eine gewisse Sicht zu vermitteln, was grundsätzliche Begriffe wie „Menschlichkeit“, „Gerechtigkeit“ und „Miteinander“ anbelangt. Es ist wichtig, das immer ganz hoch zu halten, sodass man sich darauf auch immer wieder besinnen kann. Wenn ich diese Begrifflichkeiten einstreue, führe ich den Menschen, die die Musik hören, diese Themen auch immer wieder in ihrem Alltag vor Augen. Das ist mein gesellschaftspolitischer Beitrag, weil es so viel gibt, was man positiv verändern kann.
Das Album beginnt ja bereits mit einem Zitat aus der „Internationale“.
Ja, das ist ja auch lustig.
Genau. „Poppigerer“ Sound hin oder her, auch dieses Album hat sehr rockige Anleihen, zum Beispiel auf „Propaganda“. Inhaltlich habe ich diesen Song ehrlich gesagt nicht wirklich verstanden – kannst du mir da auf die Sprünge helfen?
Den Text hat Frank Ramond geschrieben – für mich geht es da um eine etwas kompliziertere Beziehungsgeschichte, in die der Begriff „Propaganda“ eingeführt und ad absurdum geführt wird. Anhand einer Alltagsgeschichte werden Dinge, die von außen über die Beziehung verbreitet werden, zu Stellvertretern für Propaganda, die wir in der Tagespolitik erleben. Das hat auch einen ironischen Beigeschmack.
Innerhalb kurzer Zeit hattest du Liveauftritte in zwei sehr unterschiedlichen Umfeldern: dem M’era Luna und dem ZDF Fernsehgarten. Nimmst du im Kontakt zum Publikum Unter- schiede wahr oder schlägt dir überall dieselbe Liebe entgegen?
Letzteres. Ich finde es ja schön, mit Genres anarchisch umzugehen und mit ihnen zu brechen. Wichtig ist, dass die Menschen meine Musik hören können – und ich nehme jede Gelegenheit wahr, dafür zu sorgen. Ich bin auch weit davon entfernt, das irgendwie zu bewerten – Hauptsache ist, dass meine Musik eine Plattform bekommt. Und dass ich gut aussehe. (lacht) Alles andere ergibt sich durch Zustimmung oder Ablehnung des Publikums.
Ihr habt zum Release erst einmal ein paar Clubkonzerte in eher kleinen Sälen gespielt. Warum diese Reduktion? War das praktisch eine „Erholungsphase“ nach den recht umfang- reichen Konzertreisen zu „Rübezahl“?
Wir wollten erstmal die Fühler ausstrecken, als eine Art Testphase. Es war ja gar nicht klar, wie das Album ankommt, deshalb wollten wir nach diesen vier Promo-Konzerten entscheiden, wie es weitergehen soll.
Spielt die Rezeption denn eine so große Rolle, wenn das Album bei einer großen Plattenfirma wie Warner erscheint, oder habt ihr da auch Narrenfreiheit abseits von nackten Verkaufs- zahlen?
Diese Kopplung ist selbstverständlich, es ist ja mein Interesse, eine Tour zu spielen – Warner würde mir auch nie wegen Verkäufen davon abraten, auf Tour zu gehen. Diese Entscheidung obliegt mir und meiner Agentur. Ich habe ja auch so viel Material, auf das ich jederzeit zurückgreifen kann. Das allein füllt ja schon mehr als ein Programm, insofern bin ich, was eine Tour anbetrifft, gar nicht auf die neuen Titel angewiesen.
Backkatalog ist das Stichwort: „Fels in der Brandung“ ist dein zwanzigstes Studioalbum. Was in dir bringt dich – dankenswerterweise – immer wieder dazu, neue Musik aufzunehmen?
Solange es mir gut geht und ich gesund bin, will ich nicht einfach rumsitzen, sondern suche etwas, das mich herausfordert. Wenn ich meine Kreativität auf Sparflamme stellen würde, würde mein Leben nicht mehr so viel Spaß machen. Wir haben ja vorhin darüber gesprochen, dass ich das auch als meine Mission ansehe – und ich habe schon so viel Feedback bekommen, weil die Texte viele Leute bewegen und auch helfen. Ich versuche ja bewusst, in die Tiefe zu gehen und nicht an der Oberfläche zu bleiben. Das geht in mir selbst los – ich arbeite ja auch etwas in mir auf, was ich dann dem Publikum weitergebe, und es vermittelt mir so ein schönes Gefühl, wenn das gewürdigt wird. Da fühle ich mich manchmal auch wie ein Therapeut, aber das ist eben die Mission.
Da der Begriff „Mission“ ja immer wieder aufkommt, scheint deine Mission für dich noch nicht erfüllt zu sein. Was fehlt dir noch zur Erfüllung?
Es ist ja offensichtlich, dass es nach wie vor viele Probleme auf der Welt gibt – da findet man immer was. Nicht nur im Moment läuft sehr viel aus dem Ruder, es gibt viel zu tun, um eine gerechtere Welt und ein besseres Miteinander zu schaffen. Die Leute liegen sich gegenseitig in den Haaren, vergessen dabei aber immer wieder, dass es ein Mindestmaß an Kommunikation braucht, um miteinander auszukommen und einander zu erreichen. Aktuell erleben wir einen Gesinnungsterror, den ich ganz fürchterlich finde. Ich habe da auch viele Ansätze, da ist das, was ich auf dem Album schildere, erst der Anfang.
Wo du vom Gesinnungsterror sprichst: Bedarf es für dich Mut, dich so klar zu positionieren, wie du es auch auf dem Album tust?
Die Positionen, die ich vertrete, sind ja im Kern universell. Es ist nah dran an den menschlichen Bedürfnissen. Insofern kann man aus „Der Fels in der Brandung“ gar nicht bestimmen, wo ich politisch stehe. Ich habe nur ein soziales Bewusstsein, das ich den Hörern vermitteln möchte, um auch ihr Bewusstsein anzusprechen: dass es ohne einander nicht geht.
Könnte man den „poppigeren“ Sound demnach auch als Taktik bezeichnen, um die Reich- weite dieser Botschaften zu erhöhen?
Natürlich möchten wir erfolgreich arbeiten – mein Produzent, Hardy Krech, macht das so. Er versucht, einen „Drall“ in die Musik zu kriegen, der eine breitere Masse ansprechen und nicht nur Nischenpublikum bedient. Ich bin nicht böse drum.
Brecht hat ja auch Popmusik gemacht, um seine Inhalte ans Publikum zu bringen.
So kann man es auch sagen.
Während der Produktion der „Rübezahl“-Alben hattest du zwischenzeitlich anklingen lassen, aufgrund anstrengender Produktionsverhältnisse, auch in puncto Finanzierung, eventuell aufzuhören – Im Moment klingt es aber so, als wärst du noch lange nicht fertig.
Absolut, es war ja nicht so, dass ich keine Lust mehr hatte. Ich bin bewusst zu Warner gegangen, um größere Kompetenz im Bereich Marketing um mich herum zu haben, damit wir das breiter aufstellen können. Und ich glaube, die Mannschaft, die ich gewählt habe, ist für dieses Album genau das Richtige.
Danke für das Interview!
Der Fels in der Brandung Tour 2024
09.02.24 Dresden, Tante Ju
10.02.24 Berlin, Columbia Theater
16.02.24 Hamburg, Große Freiheit 36
17.02.24 Zwickau, Club Seilerstrasse
08.03.24 Oberhausen, Turbinenhalle 2
09.03.24 Frankfurt a.M., Das Bett
15.03.24 Ludwigsburg, Scala
16.03.24 Pratteln, Z7 (CH)
22.03.24 Osnabrück, Rosenhof
05.04.24 Hannover, Musikzentrum
06.04.24 Übach-Palenberg, Rockfabrik
12.04.24 München, Backstage Halle
13.04.24 Wien, Szene (AT)
18.04.24 Nürnberg, Hirsch
19.04.24 Leipzig, Anker
Tickets können wie immer bei allen bekannten VVK-Stellen sowie unter www.myticket.de und www.eventim.de gesichert werden.
Joachim Witt im Web: