Open Air Gränichen (CH) 2022 (Festivalbericht)

Heiß, heißer, Open Air Gränichen!

Das war das Motto des ersten Tages im Gränicher Moortal.

Um 13.30 Uhr eröffneten die drei Ladies von Mamba Bites aus der Westschweiz das Festival. Auf der kleineren, überdachten und somit schattigeren Bühne der Sounderia warteten sie mit tollem Punk Rock mit Pop-Einflüssen auf. Auch sie haben, wie viele Künstler die Pandemie zu Musik verarbeitet, mit dem Track „Locked Down“, aus der im Juni erschienenen EP „Haunting Lies.“ Das kommt gut. Allez les filles! Kabuki Joe, die Punkrock-Supergroup, bestehend aus Mitgliedern von Lyvten, Moron Bros und TODESDISKO enterten als erste die Mainstage. Darauf mussten sie, genauso wie die Fans drei Jahre warten. Es hat sich aber sowas von gelohnt! Raue Gitarren, große Melodien und viel Spaß machten den Auftritt von Kabuki Joe absolut sehenswert.

Energiegeladen war die Show von Moment Of Madness aus dem Baselbiet. Los gings mit dem Titeltrack „Guiding Light“ zur gleichnamigen EP. So klingt Metalcore mit Texten direkt aus dem Leben und melodiösen Gitarrenriffs bis hin zum Schlussakkord von „The End Of The World“. Das Fitnessprogramm auf der Bühne absolvieren? Bei sonnigen 36 Grad? Kein Problem für Insanity61. Hardcore war hier die komplette, schweißtreibende Show, nicht nur der Sound, der gesellschaftskritisch, aber auch mit einer guten Portion Ironie so richtig Spaß machte.

Open Air Gränichen
Electric Callboy liefern beim Open Air Gränichen als Headliner gewaltig ab

Die energiegeladene Turnstunde ging gleich weiter, so der Frontmann von Hunted Like Thieves. Nun aber im Schatten der Sounderia. Die Combo aus Zürich schmetterte dem bereits sehr zahlreich anwesenden Publikum Melodic Hardcore-Tracks mit klarem Punk Rock-Einfluss wie „Rites & Routines“ entgegen. Mit emotionsgeladenen Songs, die bei „Dem Zwecke Gedient“ auch mal auf Deutsch daherkommen, wussten sie zu überzeugen. Infected Rain brachten keine Abkühlung – im Gegenteil, es wurde auf der Mainstage so heiß, dass Frontfrau Lena Scissorhands befürchtete, dass ihre Schuhe zu schmelzen beginnen. Die Progressive Metal-Truppe aus der Moldawischen Hauptstadt Chișinău heizte allen Anwesenden so richtig ein. Growls und Screams im schnellen Wechsel mit engelsgleicher Stimme der charismatischen Sängerin machen den unverwechselbaren Sound von Infected Rain aus.

Thrash Metal ist tot? Bestimmt nicht! Glaubt ihr nicht? Dann hört mal bei Comaniac rein! Die Company of Maniacs, woraus sich der Bandname zusammensetzt, beweist dass Thrash Metal sehr lebendig ist. Nach „Coal“ und „Secret Seed“ wurde das Tempo mit „Holodox“ dem Titeltrack des 2020er Albums weiter gesteigert. Ausgiebige Gitarrensoli und komplexe Rhythmen – das Experiment, ob Thrash Metal am Open Air Gränichen funktioniert, kann als sehr geglückt betrachtet werden. Nach 20 Jahren Bandgeschichte sind Callejon, die Gründerväter des deutschsprachigen Metalcore zwar nicht mehr ganz jung, aber nicht weniger wild. Mit viel Spielfreude rissen sie das Publikum vom ersten Takt an mit. Nebst Sänger Bastis Lieblingssong „Kind Im Nebel“ präsentierten Sie unter anderem auch „Die Krähe Mit Dem Schädelbauch“ und lieferten eine großartige, schweißtreibende Show ab.

Brutal, – das ist das Erste, was mir zum Auftritt von Malevolence einfällt. Die Mischung aus modernem Metal und Hardcore, gepaart mit den Lyrics, die Frontmann Alex ins Mikrofon bellt, ist akustischer Abriss erster Güte. Die Menge vor der Bühne verschaffte sich durch extremes Moshen sehr schnell den nötigen Platz, um die Briten aus Sheffield gebührend zu feiern. Etwas weniger hart, aber dafür mit viel Spaß übernahmen Itchy aus Deutschland die Mainstage.

Ihr Pop-Punk machte vom ersten Takt an gute Laune. Bei der wohl einzigen Ballade des Festivals, „The Sea“ wurde das wilde Publikum kurzzeitig gebändigt, alle setzten sich auf den Boden und Sibbi und Panzer verließen die Bühne und spielten den Song mitten in den Zuschauern. Ebenfalls aus dem großen Kanton kommen Any Given Day, die die Sounderia rockten. Eindringlicher Sound mit Breakdowns, gepaart mit kraftvollen Growls von Frontmann Dennis liessen niemanden kalt. Das Scorpions-Cover „Wind Of Change“ fehlte selbstverständlich auch in Gränichen nicht. Dieser Song wurde als blau-gelbe Vinyl-Single gepreßt und im Bundle mit dem T-Shirt zum Song verkauft, der Erlös davon geht an die Flüchtlingshilfe für die Ukraine.

Trainingsanzüge mit Neonfarben, toupierte Dauerwellen – war ich eben in einer Zeitmaschine in meine Jugend zurückgereist? Keineswegs. Das waren Electric Callboy, die gerade zu „Pump It“ die Stage stürmten. Passend zum neuen Album „Tekkno“ in Outfits, inspiriert von den Aerobic-Videos der 80er-Jahre. Obwohl ich mein 80er-Look-Trauma wohl bis heute nicht ganz verarbeitet habe, ließ mich die tolle Stimmung und der coole Trancecore dies bald vergessen. Mit viel Energie und bestens gelaunt auf der Bühne wie bei den Besuchern, wurde der Auftritt von Electric Callboy zum Tanz im Regen, denn nach dem brennend heißen Tag zog ein Gewitter auf. So wurde zwar die „Supernova“ besungen, aber zu sehen waren schwarze Wolken. Dies war auch besser so, weil bei einer Sternenexplosion hätte bestimmt niemand mehr Zeit gehabt für Hammer Live-Sounds und Party. So ging es zum Glück weiter mit „Hypa Hypa“ bis zu „Space Man.“ Electric Callboy lieferten eine großartige Show, ach ja, teilweise auch in ganz normalen Klamotten.

We have a goblin – dies ist das Motto der Kalifornier von Nekrogoblikon. Die H.P. Lovecraft-Fans brachten also ihren bandeigenen Kobold mit, der einen großen Teil der sehenswerten Show zum Melodic Death Metal lieferte, während der Sänger Nicholas Von Doom sich eher im Hintergrund hielt. Eine Band mit eigenem Maskottchen, – ich fand’s super! Den letzten Auftritt des Freitags bestritten No Fun At All. Mit einer Bandgeschichte, die bis Anfang der 90er-Jahre zurückreicht, zwischenzeitlich hatten sie sich auch mal aufgelöst, aber seit dem Album „Grit“ von 2018 wieder unterwegs, überzeugten die Schweden mit melodischem Punkrock. Tracks wie „Nothing Personal“ machten nochmals richtig Laune und viel Lust auf den zweiten Tag des Open Air Gränichen.

Am frühen Samstagmorgen für Festivalbesucher, also um halb zwei Uhr nachmittags, wurde die Sounderia bereits wieder gerockt. Fribourg war vertreten durch Cage. Sie lieferten ein Hardcore-Brett ab, zu dem die unverwüstlichen Fans bereits wieder Pogo tanzten. Bunt und lustig- so sind Fluffy Machine. Das Skate Punk-Quartett aus dem Wallis mischte die bereits beträchtlich angewachsene Menge Zuschauer richtig auf. Witzige Tracks wie „House Of Piss“ über einen nicht ganz dichten Hund und Menschen, die das zu spät merkten, sind ihr Markenzeichen. Von einem Fan bekamen sie Spaghetti und Pesto-Sauce direkt an die Bühne geliefert, von anderen Schlachtenbummlern gab es weitere Geschenke. Was für ein Auftakt auf der Mainstage!

Einen energiegeladenen Auftritt lieferten Safe State ab. Harte Riffs und kraftvolle Shouts, so klingt der Oldschool Hardcore des Fünferpacks aus Zürich. Und natürlich war die Meute vor der Bühne wiederum am moshen, als gäb’s kein Morgen. Deynastyle war als Nächstes angesagt. Dynamischer Sound und musikalische Freiheit sind Freezes Deyna wichtig. Die Truppe aus Solothurn, auf die ich mich seit der Ankündigung sehr gefreut habe, hält seit über 10 Jahren erfolgreich die Crossover-Fahne hoch. Mal laut und hart mit satten Basslines im Wechsel mit funky Gitarren, Sprechgesang von Rib, Scratches von DJ Sceptic, dann wieder federleichte Reggae-Beats, das nenne ich mal perfekten Crossover. So sah es auch das Publikum, das vom ersten Takt an voll mitging.

Wenn sich die Bühne in einen Schrein verwandelt und die Räucherstäbchen qualmen, steht eine Show von E-L-R an. Mystischer Post Metal des Trios aus Bern mit hypnotischen Melodien und zwei magischen Frauenstimmen tauchte die Sounderia in eine sphärische Stimmung. Irgendwo zwischen Postpunk und Indierock bewegen sich Schmutzki aus Stuttgart. In Gränichen bewegten sie auch die Menge vor der Bühne, mit grosser Schnauze und scharfen Riffs, mit Tracks wie „Die Beste Bar Der Stadt“ oder „Zeltplatz Baby.“ Viel Herz und Authentizität zeichnen Schmutzki aus und sorgten für beste Stimmung auf dem Gelände.

Wenn der Moshpit eskaliert, sind Paleface aus Basel am Werk. Explosiver Deathcore, aggressiv und destruktiv, der totale Abriss. Da haben diverse Fans blaue Flecken als Souvenir mit nach Hause genommen. Belanglose Musik? Nicht mit Swiss & Die Andern! Punkrock mit Crossover-Einflüssen und politischen Texten, die beim Publikum ein positives Echo fanden. Doch auch der Spaß kam nicht zu kurz, so wurde die Show zu einer grossen Feier mit Songs wie „Besteste Band“, „Vermisse Dich“ oder „Grosse Freiheit“, da wurden die Fans auch gleich eingeladen, im Dezember nach Hamburg zu kommen und da den Jahresabschluss zu feiern.

Ohne Moshpit oder Wall of Death fand der Auftritt von The Peacocks statt. Gefeiert wurde trotzdem, denn bei ihrem Psychobilly und Rockabilly Style of Punkrock kann niemand die Füße stillhalten. Für mich ist ein Gig mit Kontrabass immer ein Highlight. Seit 30 Jahren sind die Winterthurer bereits unterwegs, aber kein bisschen müde. Diese Energie übertrug sich auch direkt auf das Publikum, das den etwas anderen Stil gebührend feierte. Talco aus Italien ließen alle Besucher toben. Kein Wunder, wenn dermassen tanzbarer Ska-Punk geboten wird. Verschärfte Bläsersätze mit Saxofon und Trompete und viel Spielfreude waren ein gutes Rezept, damit die Stimmung überkochte. Symbolisch dafür waren die vielen Crowd-Surfer, die sich fast wie auf einem Fließband in Richtung Bühne tragen ließen. „Combat Circus“, „Punta Raisi“ und natürlich „St. Pauli“ durften an diesem Abend mit den Signori von Talco nicht fehlen.

Ist es Post-Rock, Post-Hardcore oder Math-Rock? Es ist einfach Brutus. Das Trio aus Belgien lieferte hypnotisch mitreißenden Sound ab und erzeugte eine grandiose Stimmung. Die Zuhörer standen oft mit geschlossenen Augen da und ließen sich vom satten Sound und dem Gesang von Stefanie Mannaerts, die gleichzeitig die Drums bearbeitet, in andere Welten tragen. Die Füße wieder auf den Boden oder aufs Skateboard zu bekommen, ist nie einfacher als mit Millencolin. Nach einer Begrüßung in drei Schweizer Landessprachen und natürlich in Schwedisch rockten sie das Moortal mit Vollgas. Eingängige Melodien und beste Laune, so soll ein Konzert sein. Tracks aus dem neuen Album „SOS“, das knapp vor der Pandemie veröffentlicht wurde; sowie ältere Titel sorgten für beste Stimmung. Millencolin betrachten Gigs in der Schweiz auch immer ein wenig als Heimspiel, da ennet dem großen Teich unsere beiden Länder ja gerne mal verwechselt werden.

Nach Auftritten in Wacken, beim Hellfest, Summer Breeze oder in Roskilde, um nur einige Festivals zu nennen, machten The Ocean nun auch Halt in Gränichen. Sehr komplexe Post Metal-Klänge, kombiniert mit progressiven und Klassik-Elementen nahm das Publikum mit auf eine Reise durch die musikalische Welt der Berliner. Dieses dankte dem Kollektiv mit viel Applaus und feierte die Show, so wie The Ocean es auch verdient haben. Der zweite Festivaltag war zum Glück etwa 10 Grad kühler als der erste. Doch dies änderte sich mit GHØSTKID schlagartig. Die Truppe um den ehemaligen Sänger von Electric Callboy, Sebastian „Sushi“ Biesler heizte den immer noch sehr zahlreich anwesenden Zuschauern weit nach Mitternacht so richtig ein! Ein absolut sehenswerter Auftritt mit Krachern wie „START A FIGHT“ und „ZERO“ ließ die Stimmung nochmals richtig kochen. Der Schlusspunkt der Show von GHØSTKID und auch des Open Air Gränichen 2022 war der Cover-Song „Maniac“ aus Flashdance, den wohl viele mich eingeschlossen, noch auf dem Nachhauseweg in den Ohren hatten.

Das Gränicher Open Air-Team hat mal wieder abgeliefert. Ein ausverkauftes Festival, musikalische Leckerbissen aus verschiedensten Genres, beste und friedliche Stimmung, tolle Menschen und nette Helfer am Eingang und an den Verpflegungsständen. Viel Schweiß und Staub gab es noch obendrauf, also genau die Mischung, die ein Festival so erlebenswert macht. Ich freue mich auf nächstes Jahr!

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