Blutengel – Erlösung: The Victory Of Light (CD-Kritik)

BlutengelNachdem Chris Pohl mit She Hates Emotions letztes Jahr ein ungeheuer unterhaltsames neues Projekt vorstellte und mit „Fountain Of Destiny“ Anfang 2021 ein Cover-Album an den Start brachte, gibt es nun endlich komplett Neues aus dem Hause Blutengel – mit „Erlösung: The Victory Of Light“ liegt ein Album vor, dessen überbordendes Thema Hoffnung ist. Und das trifft sich: mit eineinhalb Jahren partiellen Sozialentzugs im Nacken kann Chris in seiner Rolle als musikalischer Prediger über seinen dunklen Beats wohl absolut aus den Vollen schöpfen. Die Mauer aus Traurigkeit – „reiß sie ein und folge dem Licht!“, ermutigt er uns auf dem Midtempo-Opener „Illuminate My Soul“, der uns direkt in gewohntes Fahrtwasser leitet. Tanzbar, zum Mitklatschen und -singen, und dem langen und fast schon future-poppigen bis industrial-artigen Intro weiß das geneigte Blutengel-Publikum sich direkt in Sicherheit. Endlich darf wieder gefeiert werden.

Apropos Feiern: „Wir sind das Licht“ schiebt sich als weiterer Crowdpleaser an, mit zwingendem Rhythmus und Gitarrenanschlägen, die den Techno-artigen Synth begleiten, wird man hier wohl ordentlich mithüpfen können. „Mit mir bist du nie allein / Wir verlassen die Vergangenheit – auf in eine neue Zeit / Wir tauchen ein in die Nacht und werden zu Licht“Chris Pohl ist vielleicht nicht der größte Lyriker aller Zeiten, aber er trifft hier exakt den Nerv der Zeit. War das Album „Un:Gott“ (das ich heute übrigens wahrscheinlich um einiges positiver bewerten würde) noch getragen vom Thema Dunkelheit, so dominiert hier das Licht, das Sammeln der Kräfte, das Gefühl: „Es geht weiter“. Selbiges trifft auch auf „We Are Not Dead“ zu, das alles in allem jedoch noch etwas zackiger, aber auch hymnischer ausfällt und musikalisch definitiv in der Tradition von Songs wie „You Walk Away“ steht. Besonders geil ist übrigens das Akustikgitarrensolo, das fast schon einen Folk-Charakter hat. Dazu noch die „Ah-ha-ha“-Chöre im Hintergrund, und es ist ein pures Vergnügen.

„Seasons“ hingegen fällt um einiges trüber aus. Mit langsamem Tempo, träumerischen Synthies und Orchesterelementen, sowie der Geschichte von Vergänglichkeit, die Chris hier erzählt, entsteht etwas irgendwie Magisches, Episches. Den harten Kontrast dazu bietet „Wer ist dein Meister?“, ein Song, der wie sein eigener Club Remix klingt. Hier gibt es definitiv das eine oder andere voll auf die Zwölf, und die Techno-Sounds strecken die Arme Richtung Tanzfläche aus. Aufgekratzt, energetisch, und natürlich mit dem einen oder anderen „Hey!“-Shout, sowie dem Frage-Antwort-Prinzip der zweiten Strophe („Wer ist dein Meister, wer ist dein Gott? – Du bist es! Du bist es!“), das man so was von mitgrölen kann – und wird.

Der nächste Song ist wieder ein kompletter Stimmungswechsel – und was für einer. „Deine Dämonen“ ist eine fast sieben Minuten lange Ballade, die so herzzerreißend gesungen und opulent instrumentiert ist, dass es der erste Blutengel-Song seit „Monument“ ist, der mich wirklich anrührt. Die sehr dominanten Orchester-Klänge treffen mitten ins Ziel. Dieser tieftraurige Song über das Leiden unter einem Egomanen ist in seiner Größe ein ungeheurer Triumph und gehört mit zu dem Besten, was Blutengel in den letzten Jahren abgeliefert hat. Mit „I Am The Darkness“ hingegen wird es dann um einiges härter. Die E-Gitarren werden wieder präsenter, und die Dynamik zwischen Chris und Ulrike Goldmann, die hier eine famose Bridge beisteuert, ist immer wieder hörenswert.

Auch „Erlöse mich“ hält das Energie-Level hoch und erinnert wiederum an das (in meinen Augen ausgesprochen gute) Album „Monument“. Die Nummer groovt ordentlich und hat einen tadellosen Aufbau, der diesen Song wohl für die nächsten Jahre fest im Blutengel-Repertoire verankern dürfte. Danach kommt mit „Wie Sand“ sofort das nächste Highlight um die Ecke. Diese Nummer zwischen Synthpop und Coldwave, gesungen von Ulrike, profitiert enorm von der mystischen Stimmung und den Retroklängen. Bei Ulrike Goldmann sitzt jede Silbe, die Nummer ist famos akzentuiert. Anders als bei manch anderen Blutengel-Texten, wo Versmaß und Rhythmik in den Strophen gelegentlich die zweite Geige spielen (als Beispiel diene hier mal „Damokles“, wo der Textein melodiöses Spoken Word ist), stimmt hier alles. Musik und Gesang harmonieren hier absolut brillant – was für ein Ohrenschmaus.

Da verzeihe ich doch glatt das vergleichsweise uninspirierte „No Religion“, das mit dem eher repetitiven Refrain und dem fehlenden Hitfaktor hier leider keinen Blumentopf gewinnt. Religionskritik ist ja an und für sich eine schöne Sache und hat für die eine oder andere schöne Nummer im Blutengel-Katalog gesorgt („Gott:Glaube“), aber dieser Song kommt über ein druckloses „Yooooouuuuu don’t need religion“ nicht wirklich hinaus – da findet sich auf der Bonus-CD der eine oder andere Song, der hier besser am Platz gewesen wäre – das „Lucifer“-ähnliche „Angel’s Cry“ zum Beispiel. Wie schön, dass mit „Darkness Awaits Us“ eine kraftvollere, vor allem aber energetischer gesungene Nummer folgt. Eine feierliche Midtempo-Nummer, klassische Blutengel-Klänge, die auf jeden Fall gute Laune macht.

„We Fall“ ist dann nochmal erfreulicher: Das klingt fast schon wie das wirklich großartige „Behind The Mirror“ bereichert um akustische Gitarre. Chris und Ulli wechseln sich in den Strophen ab, um im Refrain zusammenzufinden, und die wirklich schöne Melodie wird durch einige interessante Sounds komplettiert. Mit „The Victory Of Light“ folgt schließlich die bereits bekannte erste Single des Albums, die mit ihren düsteren, bilingualen Vocals ordentlich Druck zu machen weiß. Zügig, mit eingängiger Melodie, und voller Effekte. Als Partynummer taugt der Song allemal etwas, auch wenn er hin und wieder etwas überladen wirken kann. Der Text hingegen wirkt für Blutengel-Verhältnisse erstaunlich tagesaktuell: das Sehnen nach dem Licht am Ende des Tunnels, der Wunsch nach der Welt, wie sie früher war. Vor allem aber greift er das Hoffnungsthema wieder auf: das Licht siegt.

Doch zum Abschluss wird es nochmal richtig gut. Ich habe, wie man vielleicht schon gemerkt hat, ein gewisses Faible für orchestrale Blutengel-Songs (mein Einstieg war „Black Sym- phonies“), und in genau diese Kerbe schlägt „Hand in Hand“. Ungeheuer groß und stark, mit Streichern und einem Chor nimmt diese Nummer den Hörer förmlich in den Arm, wird mit der Zeit immer größer und schöner, und wirkt durch ihren Aufbau gleichsam ungeheuer beruhigend. Der Fokus liegt hier nämlich auf der wirklich famosen Komposition, das Orchester steht hier im Vordergrund – der Text besteht praktisch aus einem Vierzeiler, der Mantra-artig wiederholt wird. Was für eine wundervolle, warme und schöne Nummer, der krönende Abschluss von „Erlösung: The Victory Of Light“.

Fazit: Dieses Album zu hören, muss sich für einen Blutengel-Fan in etwa so anfühlen: Ein alter Freund kommt in unsteten Zeiten, um uns eine Hand auszustrecken, an der wir uns festhalten können. Dass Blutengel das Rad nicht neu erfinden, kann man ihnen nicht vorwerfen. Stattdessen schaffen sie aber mit „Erlösung: The Victory Of Light“ etwas, das sie zuletzt mit „Save Us“ geschafft haben. Es ist ein Album, das so ziemlich alle Aspekte, die diese Band ausmachen, auf den Punkt bringt und dem Hörer genau das gibt, was er will, wenn er sich eine CD von Blutengel kauft. Und teilweise noch mehr. Denn abgesehen von einer weniger begeisternden Nummer („No God“) finden sich hier zum Ausgleich einige wirkliche Highlights, die sich vor anderen Höhepunkten der Blutengel-Diskographie keines- wegs verstecken müssen – „Wie Sand“ ist eine famose Ulrike-Solonummer, das todtraurige „Deine Dämonen“ sowie das unfassbar schöne „Hand in Hand“ sind unglaublich stark und berührend. Es gehört zu den perfektesten Blutengel-Alben – perfekt in dem Sinne, dass es genau das erfasst, was Blutengel erfolgreich macht.

Tracklist:

01 Illuminate My Soul
02 Wir sind das Licht
03 We Are Not Dead
04 Seasons
05 Wer ist dein Meister?
06 Deine Dämonen
07 I Am The Darkness
08 Erlöse mich
09 Wie Sand
10 No Religion
11 Darkness Awaits Us
12 We Fail
13 The Victory Of Light
14 Hand in Hand

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VÖ: 16.07.2021
Genre: Dark Pop
Label: Out Of Line

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