Die Form – Baroque Equinox (CD-Review)

Ein neuer Sündenfall. Ein neues Paradies. Ein neuer Anfang, geschaffen aus einem weiteren Ende. Wir alle sterben jeden Tag, wir alle atmen jeden Tag. Besonders greifbar wird diese Dualität seit jeher im chimärenhaften Schaffen des elektronischen Cha- mäleons DIE FORM. Vor beinahe 40 Jahren als revolutionärer Live-Act für die anrüchige, jedoch auch visionäre BDSM-Szene begonnen, hat sich das französische Künstlerpaar Philippe Fichot und Éliane P. bis heute zwei Dinge bewahrt: Ihre künst- lerische Einzigartigkeit – und ihr Händchen für druckvolle Clubhits am schwarzen Puls der Zeit. Sie wandeln auf Messers Schneide, umarmen den Tod und das Leben, die Nacht und den Tag, den Schmerz und die Liebe, das Böse und das Gute. Nie heißt es schwarz oder weiß für sie. Es sind die ungezählten Grautöne, die ihre Kunst beherrschen. Es sind die ungezählten Grautöne, die unser Leben beherrschen. (Presse- text)

Am 23. Juni 2017 erschien nun unter dem Titel „Baroque Equinox“ ihr neustes Werk über Trisol Music Group (Soulfood). Den Anfang macht der im März 2017 als Single veröffentlichte Track „Psychic Poison (Night Fever)“ in ganz typischer Die Form Manier: theatralisch melodischer Gesang über kalt knarzenden, fiependen und zirpenden Elektrosounds. Ein sehr schöner Spannungsbogen entsteht durch den Gegensatz zur glockenreinen Stimme von Sängerin Éliane zur Stimme ihres Partners Philippe, die teilweise sehr heftig durch den Verzerrer gejagt wurde. Ein wirklich sehr schöner Titel mit interessanten Kontrasten. „L’Origine Du Monde“ liefert einen schönen, tiefen Bassrhythmus, dazu verfremdeter Sprechgesang von Philippe Fichot. Sehr reduziert komponiert mit sehr spannenden Synth-Einschüben aus der Industrialklangwelt. Ungewöhnliche Gitarrenklänge eröffnen „Hypno- phonia“ und leiten über in ein fast hymnisches Synthiepop-Stück mit der bezaubernden Stimme von Èliane. „Erotic Self-Sacrifice“ lässt aufhorchen durch die Geigen am Anfang, aber das täuscht. Hier zieht der Rhythmus an, ausgebremst durch avantgardistische Einschübe, die eine recht verstörende Stimmung kreieren, das Stück ist an sich schon düster und stellt sich durch die experimentelle Komposition quer zu den Hörgewohnheiten. Ein schöner elektronischer Einstieg führt in die „Night Session – Voyeur Tape“. Ein breiter, fetter Synthiesoundteppich hebt die Stimme der Sängerin in höchste Höhen des Dramas. Auch hier bremsen Einschübe das Lied aus und zaubern eine sehr mystische, dramatische Stimmung. „Bis Repetita“ ist wieder mehr im EBM/Industrialstil gehalten und geht durch die Gesangs- linie im Refrain in eine melodische Richtung. Der brachial-dramatische Einstieg in den Track „Flesh Memory“ lässt die Bassbox vibrieren. Im Takt sehr verhalten steigert das die Dramatik noch ins Unerträgliche. „L’Oeil Du Silence“, beginnt ganz verspielt als starker Kontrast zum Vorgängertitel. Die weibliche Stimme schwebt engelsgleich über der schroffen Toncollage. „Bio Machina“ geht rhythmisch gleich voran, begleitet von ungewöhnlichen, fiesen Synt- harrangements, die klarstellen, dass man sich als Hörer nicht zu sehr in die Harmonien einkuscheln darf. Das wird ziemlich experimentell für die Ohren. Sehr cool! Es geht gleich weiter in dieser Stimmung mit „EquiNoxia“, das aber wegen der sphärischen Synthie- teppiche viel weicher im Klangbild als der Vorgängertitel ist. Die verzerrte Vocoderstimme kontert wiederum die Sanftheit der Stimme der Sängerin. „Jigoku (Blindage)“ wird har- monisch nur gehalten durch den Gesang. Die Elektroniksounds bereiten ihr einen schroffen Untergrund, unterbrochen durch zartes Cellospiel. Das auf diesem Album experimentellste Stück. Orchestral werden wir in den letzte Track „Cérémonie Secrète“ geleitet, der sehr vorsichtig und zart wirkt gegenüber den anderen Titeln des Albums. Der balladeske Gesang wirkt nach all den Experimenten fast verstörend harmonisch.

Fazit: Die Form prägen nun schon seit 40 Jahren mit ihrer avantgardistischen Elektro Performance die elektronische Musikszene. Oft wird ihr Stil auch als Fetisch-Elektro be- zeichnet, weil ihre Auftritte von den starken visuellen Reizen und Stilmitteln u.a. der Fetisch- und BDSM-Szene gespeist wird. Performance d.h. Tanz, Bild- und Filmcollagen, Licht und Outfit gehen eine Verbindung ein zur Musik. Das Gesamtkonzept IST der Fetisch, Die Form ist der Fetisch. So auch auf „Baroque Equinox“, das sich nicht so sehr in die Melodienharmonie verliebt zeigt, sondern durchaus wieder sehr experimentell die Tiefen der Elektronik und Komposition auslotet, was allerdings auf Kosten der Tanzbarkeit geschieht. Herausge- kommen ist ein Werk mit technischer Kühle und Düsternis, das bezaubert, verstört und dramatische Momente als experimentelle Komposition neben schönste Melodienfragmente setzt. Charmant ist aber immer der französische Akzent. Der Gesamteindruck ist, dass Die Form wieder stärker in die avantgardistische Richtung läuft und wenig davon hält, dem Publikum eingängiges, clubtaugliches Material zu liefern. Die Form sind nicht diejenigen, die sich anpassen, sondern das fordern sie von ihrer Hörerschaft.

Tracklist:

01 Psychic Poison (Night Fever)
02 L’Origine Du Monde
03 Hypnophonia
04 Erotic Self-Sacrifice
05 Night Session / Voyeur Tape
06 Bis Repetita
07 Flesh Memory
08 L’Oeil Du Silence
09 Bio Machina
10 EquiNoxia
11 Jigoku (BlindAge)
12 Cérémonie Secrète

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VÖ: 23.06.2017
Genre: Electronic Music
Label: Trisol Music Group (Soulfood)

Die Form im Web:

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